Deutscher Titel: BLUTIGE SEIDE
Italien/Frankreich/D, 1964 – 88 min. – FSK 16 seit 2017; vorher FSK 18
Titel Italien: Sei donne per l’assassino; Titel Frankreich: 6 femmes pour l’assassin
(beide auf Deutsch: Sechs Frauen für den Mörder)
Englischsprachige Titel: Blood And Black Lace; Six Women For The Murderer
Drehzeit: 22.November 1963 bis 8.Januar 1964
Kinopremieren: Italien- 10.April 1964; D- 27.November 1964;
Frankreich- 30.Dezember 1964
Inhalt:
Ein schwarz gekleideter, hinter einer enganliegenden, fast konturenlosen Maske aus Seide versteckter Mann tötet ein Model auf dem Weg zu ihrer Arbeit- lautlos, schnell und brutal. Der ermittelnde Inspektor Silvestri sieht sich als erstes in der Agentur der Frau um. Diese wird geleitet von Max Marian und seiner Geliebten Cristina, einer Adeligen, deren Mann erst kurz zuvor verstorben war. Einiges liegt in dem „Fashion House“ (Arbeitstitel des Films war passenderweise „L'atelier della morte“, also „Das Modehaus des Todes“) im argen, und scheinbar hat jede/r hier etwas zu verbergen. Es kommt heraus, daß die Getötete ein Tagebuch geführt hat, das so manches brisante Geheimnis und unsittliches Gebahren in der Agentur und auch drumherum lüften könnte, und dessen Existenz so manche/n nervös macht. Offenbar ist der Mörder auf der Jagd nach diesem Tagebuch, denn weitere Models, die im Verlauf des Films an die Aufzeichnungen gelangen, werden vom Täter umgehend teils gefoltert und müssen ebenfalls grausam sterben...
(Fortsetzung siehe ganz unten)
Hintergründe/Bewertung:
Was haben wir Freunde des besonderen Films dem Italiener Mario Bava (1914-1980), dem grossen Zelluloidästheten und Farbenzauberer, nicht alles zu verdanken- erst schuf er einen der wenigen Gothicgrusler, der es mit Hammer locker aufnehmen konnte („Die Stunde, wenn Dracula kommt“), dann brachte er (wenn das auch gern von den späteren Kollegen abgestritten wird) das Alien auf den Weg („Planet der Vampire“); und für eine ganze Generation amerikanischer Slasherregisseure hat er den Grundstein gelegt beziehungsweise gefilmt („Im Blutrausch des Satans“). Und mal so eben nebenbei und zwischendurch hat er dann auch noch Italiens quasi ureigen(st)es und am längsten laufendes Filmgenre, den Giallo, aus der Taufe gehoben- grösstenteils sogar schon im Jahr hiervor mit „La Ragazza che sapeva troppo“ (der trotz John Saxon in der Hauptrolle nie in Deutschland veröffentlicht wurde, auf englisch gibts ihn titelkorrektübersetzt als „The Girl Who Knew Too Much“), aber dann endgültig mit diesem (weltweit Furore machenden) Film. Schon Jahre, bevor das Genre in den frühen Siebzigern seine (weiteren) Höhepunkte hatte, brachte Bava mit „Blutige Seide“ das ganze (auch dank der künstlerischen Freiheiten, die ihm die Produzenten aufgrund seiner vorangegangenen Erfolge gewährten) zur Perfektion, und nur wenige nach ihm haben trotz aller Inspiration durch Bava (Abguckerei von Bava) so sehr alles richtig gemacht.
Ohne, daß es eines wirklich originellen Plots bedarf (der trotzdem oder gerade deshalb danach noch oft kopiert werden sollte), und obwohl für manchen erfahrenen Krimifreund die Auflösung der Geschichte vorhersehbar sein mag (beziehungsweise nach etwas mehr als einer Stunde sowieso verraten wird, was bei diesem Film allerdings überhaupt nicht negativ ins Gewicht fällt, denn Spannung ist auch dann dennoch allgegenwärtig und mancher Moment von bleibendem Erschreckungswert), schrieb Bava (mal wieder) Filmgeschichte und schüttelte ein Werk aus dem Ärmel, das bis heute seinesgleichen sucht. Denn, wie man es bei ihm immer und in jedem Genre gewohnt war, auch und sowieso vor allem visuell hat „Blutige Seide“ mehr zu bieten als die meisten der Genrefilme zusammen.
In der deutschen Version weiss man zumindest den Grossteil der Auflösung übrigens noch sehr viel früher, da man sich nicht die Mühe gemacht hat, des Synchronsprechers Stimme bei einem Telefonanruf, der vom Täter kommt, zu verfremden.
Schon der kongeniale Vorspann (der in der englischsprachigen Fassung unverständlicherweise und kulturbanausig zu Gunsten animierter Tanzmädchen herausgeschnitten wurde) ist ein Kunstwerk für sich, ein Kurzfilm im Film, Genuss und Vorgeschmack. Cool und unbeteiligt im Halbdunkel posieren die Hauptdarsteller (als ob sie nicht einmal ahnen würden, was noch auf sie zukommt) neben elegant zurechtgemachten Schaufensterpuppen, sattes knallbuntes Licht im Vordergrund als Kontrast. Dazu die Credits in prägnanten, grossen (fast aufdringlichen) Blockbuchstaben und eine jazzige (heute würde man es Easy Listening nennen) Musik (auch die wird bald noch, zumindest häufig, mächtig aufdrehen).
Ohne viel Vorgeplänkel passiert im eigentlichen Film dann ziemlich sofort der erste Mord.
Ein Film als Blaupause für alle weiteren Giallos- was hier neu und ungewohnt (und durchaus für die damalige Zeit gewagt) war, prägte die Macher des Genres für immer. Ob es ein Argento oder ein Margheriti sei (die ersten, die in Bavas Fußspuren wandelten), sie alle hatten verstanden und legten los. Was sich noch ändern sollte, war die Explizität der Gewaltszenen, die zwar auch in „Blutige Seide“ viel Platz einnehmen (und prägnant-lange und teils extravagant inszeniert sind), aber noch etwas zurückhaltend sind, wenn auch skandalös für die Mitte der Sechziger Jahre, in denen „so etwas“ (und auch Sexualität, die Bava hier ebenfalls thematisiert) ansonsten allerhöchstens angedeutet wurde. Moralisten schrien auf, doch der Siegeszug eines Genres war nicht mehr aufzuhalten. Sex und Gewalt gehörte zum Leben, und (endlich) auch wie selbstverständlich zum Film, Tabus gab es kaum noch, und mit der Zeit gar nicht mehr- dieser Film ist einer der wohl einflussreichsten Thriller, der bis heute nachwirkt (allerhöchstens noch erreicht durch Hitchcock’s „Psycho“, der jedoch viel „züchtiger“ erscheint und dadurch noch nicht wirklich Veränderungen anstiess). Es erscheint, wie so oft in der Filmgeschichte, zugleich überraschend als auch wie zwangsläufig (als Aufschrei gegen eine konservative Gesellschaft), daß ausgerechnet ein so erzkatholisches Land wie Italien hier in einer Vorreiterrolle war.
Es ist immer wieder eine Freude, „Blutige Seide“ anzusehen, denn auch, wenn man weiss, was und wann vor sich geht, und wer und warum überhaupt und wie agiert (ja, die Handlung folgt nun einmal den hier und da typischen Mustern eines Krimis, und manche Wendung dient nur dazu, daß es vorangeht), ist der Film ein optisches Meisterwerk. In der (Mode-)Welt der Künstlichkeit, zwischen Menschen, die zumeist anderen gegenüber charakterlich oberflächlich und denen Äusserlichkeiten das wichtigste sind, hat Bava grossartiges geleistet: die Kamera (an der er, wenn auch im Vorspann ungenannt, entscheidend beteiligt war) beobachtet lange und ruhig, die Farben (eine Spezialität Bava’s) beeindruckend, manche Szene wie gezeichnet- und trotz aller Farbenpracht entsteht eine düstere Atmosphäre. Niemals, auch nicht bei der (teils opulent erscheinenden) Ausstattung und den (vor allem Innen-)Bauten des Werks, sieht man dem Film sein geringes Budget an (angeblich nur 150.000 Dollar). Deutlich wird auch die Bedeutung der allgegenwärtigen, und doch nie nervigen Musik für den Film, die in ihren Bann zieht, und ganz für sich, rein akkustisch, zu einem der besten Scores des Genres und darüber hinaus gehört.
Der Film hat, auch das stilbildend für das Genre, keine(n) Helden. Ganz im Gegenteil zu zum Beispiel den damals populären deutschen Wallace-Krimis (die immerhin oft schon grosse Gruselanteile hatten, und deren letzte Filme der Reihe, mit Italien coproduziert, Anfang der Siebziger zu Giallos „mutieren“ sollten) spielt auch die Arbeit der Polizei nur eine untergeordnete Rolle, die Polizei ist gar schlecht organisiert und tölpelhaft, langsam und tappt stets im Dunkeln (und wenn nicht, dann ist, wie viel später auch im Giallosplatter „Der New York Ripper“, der Polizist auch keine heldenhafte Identifikationsfigur). Hier ist die Auflösung den Beteiligten selber zu „verdanken“, im Genre danach oftmals Privatpersonen.
So ist der deutsche Thomas Reiner (vor allem bekannt aus der „Raumpatrouille“ und diversen Fernsehkrimis) in der Rolle als Polizist eher eine Randfigur, und hat kaum Möglichkeiten, aufzufallen, ein bisschen Befragen hier, ein bisschen (siehe Absatz vorher) uneffektives Herumtappen dort, das wars. In seinem Fall fast schade, denn eben das spielt er (unbegründet grosskotzig) sehr gut. Eva Bartok überzeugt als kühl-zurückhaltende und etwas ominöse Agenturchefin, läuft aber erst zum Ende des Films hin zu ihrer Höchstleistung auf, wenn sie in ihrer Rolle mehr gefordert wird und mehr als "nur" schön anzusehen und geheimnisvoll ist. Cameron Mitchell (damals etablierter Westernstar in den USA, später in vielen B-Horrorproduktionen wie „Der Bohrmaschinen-Killer“ verheizt) spielt so unnahbar wie er allerdings stets höflich zu seinen „Mädels“ ist. Er hält sich schauspielerisch etwas zu sehr zurück für seine (Haupt-)Rolle, auch das schade, da wäre mehr drin und eben auch abwechslungsreicher gewesen.
Dazu viele, natürlich erlesen hübsche Jungdarstellerinnen (besonders Mary Arden und Claude Dantes machen ihren Job stark und enden in ihren Rollen schliesslich erschreckend-realistisch gespielt, erstere in einer spektakulären Feuerfoltersequenz, die andere in der Badewanne), die, um das Horrorklischee zu erfüllen, jedoch auch gerne unlogische Dinge tun, wie anonymen Anrufern Folge zu leisten, und damit keine Chance haben, dem Mörder zu entkommen.
Fazit:
Geniallo! Die ultimative Vorlage für ein ganzes, wunderbares Genre.
Darsteller:
Cameron Mitchell (als Max Marian) -Deutsch: Klaus Miedel
Eva Bartok (als Cristina Como) -Deutsch: Maria Landrock
Thomas Reiner (Polizeikommissar Silvestri) -Deutsch: er selbst
Mary Arden (als Peggy) -Deutsch: ?
Arianna Gorini (als Nicole) -Deutsch: Marianne Prenzel
Francesca Ungaro (als Isabella) -Deutsch: Eva-Maria Werth
Lea Krüger (=Lea Lander; als Greta) -Deutsch: Uta Hallant
Claude Dantes (als Tao-Li) -Deutsch: ?
Dante DiPaolo (als Franco Scalo) -Deutsch: Gerd Martienzen
Franco Ressel (=Franco Roussel; als Marquis Riccardo Morell) -Deutsch: Lothar Blumhagen
Massimo Righi (als Marco) -Deutsch: Wolfgang Draeger
Harriet White Medin (als Clarice, Peggys Hausdame) -Deutsch: Elfe Schneider
u.A.
Regie: Mario Bava
Drehbuch und Story: Marcello Fondato, Giuseppe Barilla, Mario Bava
Kamera: Ubaldo Terzano, Mario Bava (ungenannt)
Musik: Carlo Rustichelli
Schnitt: Mario Serandrei – Bauten: Arrigo Breschi – Make Up: Emilio Trani
Regieassistenz: Priscilla Contardi – Herstellungsleitung: Georges C.Stilly
Produktion: Alfredo Mirabile, Massimo Patrizi
Spoiler:
Max ist der Haupttäter. Das erste Opfer, Isabelle, musste sterben, weil sie ihn und Cristina mit dem Wissen um seine und Cristinas Ermordung deren Ehemannes erpresste. Dann erst erfuhr Max von dem Tagebuch, und die zwei weiteren Besitzerinnen der Aufzeichnungen (Nicole und Peggy) mussten ebenfalls sterben. Den vierten Mord, an Greta, hingegen beging Cristina, um Max mit einem Alibi gegenüber dem Kommissar als unverdächtig erscheinen zu lassen. Doch Cristina begeht noch einen weiteren, den insgesamt fünften und letzten Mord (an Tao-Li)- so entscheidet es Max. Als Cristina nach dieser Tat den Tatort verlassen will, klopft plötzlich jemand lautstark an die Tür- sie will durch das Fenster fliehen, eine Regenrinne, an der sie sich festhält, bricht, und sie stürzt dabei in die Tiefe. Der Anklopfer war Max, der die Regenrinne manipuliert hatte, und so Cristina aus dem Weg schaffen wollte. Später, als Max seine Sachen zusammenpackt, um zu verschwinden, taucht Cristina blutüberströmt auf- sie hat überlebt. Mit letzter Kraft erschiesst sie Max und ruft die Polizei an, um dann direkt neben ihm zusammenzubrechen und zu sterben. Ende.
Bodycount:
1- Max erwürgt Isabella
2- Nicole wird von Max mit der Eisenhand einer Ritterrüstung erstochen
3- Peggy wird von Max brutal gefoltert, sie stirbt, als er ihr Gesicht verbrennt
4- Greta wird von Cristina mit einem Kissen erstickt (der „Ablenk“-Mord, siehe Spoiler)
5- Cristina ertränkt Tao-Li in ihrer Badewanne, anschliessend schneidet sie ihr die Pulsadern durch, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Gemäss Max' Anweisungen drapiert sie die Maske des Mörders in der Wohnung, damit die Polizei denkt, Tao-Li wäre die Mörderin der vorhergegangenen Taten*
6/7- Max und Cristina, siehe Spoiler
* Die Maske wird zuvor im Film kurz von einer Augenzeugin erwähnt, so daß hier nicht, wie einige Kritiker bemängelten, ein Logikfehler besteht.
Ein schwarz gekleideter, hinter einer enganliegenden, fast konturenlosen Maske aus Seide versteckter Mann tötet ein Model auf dem Weg zu ihrer Arbeit- lautlos, schnell und brutal. Der ermittelnde Inspektor Silvestri sieht sich als erstes in der Agentur der Frau um. Diese wird geleitet von Max Marian und seiner Geliebten Cristina, einer Adeligen, deren Mann erst kurz zuvor verstorben war. Einiges liegt in dem „Fashion House“ (Arbeitstitel des Films war passenderweise „L'atelier della morte“, also „Das Modehaus des Todes“) im argen, und scheinbar hat jede/r hier etwas zu verbergen. Es kommt heraus, daß die Getötete ein Tagebuch geführt hat, das so manches brisante Geheimnis und unsittliches Gebahren in der Agentur und auch drumherum lüften könnte, und dessen Existenz so manche/n nervös macht. Offenbar ist der Mörder auf der Jagd nach diesem Tagebuch, denn weitere Models, die im Verlauf des Films an die Aufzeichnungen gelangen, werden vom Täter umgehend teils gefoltert und müssen ebenfalls grausam sterben...
(Fortsetzung siehe ganz unten)
Hintergründe/Bewertung:
Was haben wir Freunde des besonderen Films dem Italiener Mario Bava (1914-1980), dem grossen Zelluloidästheten und Farbenzauberer, nicht alles zu verdanken- erst schuf er einen der wenigen Gothicgrusler, der es mit Hammer locker aufnehmen konnte („Die Stunde, wenn Dracula kommt“), dann brachte er (wenn das auch gern von den späteren Kollegen abgestritten wird) das Alien auf den Weg („Planet der Vampire“); und für eine ganze Generation amerikanischer Slasherregisseure hat er den Grundstein gelegt beziehungsweise gefilmt („Im Blutrausch des Satans“). Und mal so eben nebenbei und zwischendurch hat er dann auch noch Italiens quasi ureigen(st)es und am längsten laufendes Filmgenre, den Giallo, aus der Taufe gehoben- grösstenteils sogar schon im Jahr hiervor mit „La Ragazza che sapeva troppo“ (der trotz John Saxon in der Hauptrolle nie in Deutschland veröffentlicht wurde, auf englisch gibts ihn titelkorrektübersetzt als „The Girl Who Knew Too Much“), aber dann endgültig mit diesem (weltweit Furore machenden) Film. Schon Jahre, bevor das Genre in den frühen Siebzigern seine (weiteren) Höhepunkte hatte, brachte Bava mit „Blutige Seide“ das ganze (auch dank der künstlerischen Freiheiten, die ihm die Produzenten aufgrund seiner vorangegangenen Erfolge gewährten) zur Perfektion, und nur wenige nach ihm haben trotz aller Inspiration durch Bava (Abguckerei von Bava) so sehr alles richtig gemacht.
Ohne, daß es eines wirklich originellen Plots bedarf (der trotzdem oder gerade deshalb danach noch oft kopiert werden sollte), und obwohl für manchen erfahrenen Krimifreund die Auflösung der Geschichte vorhersehbar sein mag (beziehungsweise nach etwas mehr als einer Stunde sowieso verraten wird, was bei diesem Film allerdings überhaupt nicht negativ ins Gewicht fällt, denn Spannung ist auch dann dennoch allgegenwärtig und mancher Moment von bleibendem Erschreckungswert), schrieb Bava (mal wieder) Filmgeschichte und schüttelte ein Werk aus dem Ärmel, das bis heute seinesgleichen sucht. Denn, wie man es bei ihm immer und in jedem Genre gewohnt war, auch und sowieso vor allem visuell hat „Blutige Seide“ mehr zu bieten als die meisten der Genrefilme zusammen.
In der deutschen Version weiss man zumindest den Grossteil der Auflösung übrigens noch sehr viel früher, da man sich nicht die Mühe gemacht hat, des Synchronsprechers Stimme bei einem Telefonanruf, der vom Täter kommt, zu verfremden.
Schon der kongeniale Vorspann (der in der englischsprachigen Fassung unverständlicherweise und kulturbanausig zu Gunsten animierter Tanzmädchen herausgeschnitten wurde) ist ein Kunstwerk für sich, ein Kurzfilm im Film, Genuss und Vorgeschmack. Cool und unbeteiligt im Halbdunkel posieren die Hauptdarsteller (als ob sie nicht einmal ahnen würden, was noch auf sie zukommt) neben elegant zurechtgemachten Schaufensterpuppen, sattes knallbuntes Licht im Vordergrund als Kontrast. Dazu die Credits in prägnanten, grossen (fast aufdringlichen) Blockbuchstaben und eine jazzige (heute würde man es Easy Listening nennen) Musik (auch die wird bald noch, zumindest häufig, mächtig aufdrehen).
Ohne viel Vorgeplänkel passiert im eigentlichen Film dann ziemlich sofort der erste Mord.
Ein Film als Blaupause für alle weiteren Giallos- was hier neu und ungewohnt (und durchaus für die damalige Zeit gewagt) war, prägte die Macher des Genres für immer. Ob es ein Argento oder ein Margheriti sei (die ersten, die in Bavas Fußspuren wandelten), sie alle hatten verstanden und legten los. Was sich noch ändern sollte, war die Explizität der Gewaltszenen, die zwar auch in „Blutige Seide“ viel Platz einnehmen (und prägnant-lange und teils extravagant inszeniert sind), aber noch etwas zurückhaltend sind, wenn auch skandalös für die Mitte der Sechziger Jahre, in denen „so etwas“ (und auch Sexualität, die Bava hier ebenfalls thematisiert) ansonsten allerhöchstens angedeutet wurde. Moralisten schrien auf, doch der Siegeszug eines Genres war nicht mehr aufzuhalten. Sex und Gewalt gehörte zum Leben, und (endlich) auch wie selbstverständlich zum Film, Tabus gab es kaum noch, und mit der Zeit gar nicht mehr- dieser Film ist einer der wohl einflussreichsten Thriller, der bis heute nachwirkt (allerhöchstens noch erreicht durch Hitchcock’s „Psycho“, der jedoch viel „züchtiger“ erscheint und dadurch noch nicht wirklich Veränderungen anstiess). Es erscheint, wie so oft in der Filmgeschichte, zugleich überraschend als auch wie zwangsläufig (als Aufschrei gegen eine konservative Gesellschaft), daß ausgerechnet ein so erzkatholisches Land wie Italien hier in einer Vorreiterrolle war.
Es ist immer wieder eine Freude, „Blutige Seide“ anzusehen, denn auch, wenn man weiss, was und wann vor sich geht, und wer und warum überhaupt und wie agiert (ja, die Handlung folgt nun einmal den hier und da typischen Mustern eines Krimis, und manche Wendung dient nur dazu, daß es vorangeht), ist der Film ein optisches Meisterwerk. In der (Mode-)Welt der Künstlichkeit, zwischen Menschen, die zumeist anderen gegenüber charakterlich oberflächlich und denen Äusserlichkeiten das wichtigste sind, hat Bava grossartiges geleistet: die Kamera (an der er, wenn auch im Vorspann ungenannt, entscheidend beteiligt war) beobachtet lange und ruhig, die Farben (eine Spezialität Bava’s) beeindruckend, manche Szene wie gezeichnet- und trotz aller Farbenpracht entsteht eine düstere Atmosphäre. Niemals, auch nicht bei der (teils opulent erscheinenden) Ausstattung und den (vor allem Innen-)Bauten des Werks, sieht man dem Film sein geringes Budget an (angeblich nur 150.000 Dollar). Deutlich wird auch die Bedeutung der allgegenwärtigen, und doch nie nervigen Musik für den Film, die in ihren Bann zieht, und ganz für sich, rein akkustisch, zu einem der besten Scores des Genres und darüber hinaus gehört.
Der Film hat, auch das stilbildend für das Genre, keine(n) Helden. Ganz im Gegenteil zu zum Beispiel den damals populären deutschen Wallace-Krimis (die immerhin oft schon grosse Gruselanteile hatten, und deren letzte Filme der Reihe, mit Italien coproduziert, Anfang der Siebziger zu Giallos „mutieren“ sollten) spielt auch die Arbeit der Polizei nur eine untergeordnete Rolle, die Polizei ist gar schlecht organisiert und tölpelhaft, langsam und tappt stets im Dunkeln (und wenn nicht, dann ist, wie viel später auch im Giallosplatter „Der New York Ripper“, der Polizist auch keine heldenhafte Identifikationsfigur). Hier ist die Auflösung den Beteiligten selber zu „verdanken“, im Genre danach oftmals Privatpersonen.
So ist der deutsche Thomas Reiner (vor allem bekannt aus der „Raumpatrouille“ und diversen Fernsehkrimis) in der Rolle als Polizist eher eine Randfigur, und hat kaum Möglichkeiten, aufzufallen, ein bisschen Befragen hier, ein bisschen (siehe Absatz vorher) uneffektives Herumtappen dort, das wars. In seinem Fall fast schade, denn eben das spielt er (unbegründet grosskotzig) sehr gut. Eva Bartok überzeugt als kühl-zurückhaltende und etwas ominöse Agenturchefin, läuft aber erst zum Ende des Films hin zu ihrer Höchstleistung auf, wenn sie in ihrer Rolle mehr gefordert wird und mehr als "nur" schön anzusehen und geheimnisvoll ist. Cameron Mitchell (damals etablierter Westernstar in den USA, später in vielen B-Horrorproduktionen wie „Der Bohrmaschinen-Killer“ verheizt) spielt so unnahbar wie er allerdings stets höflich zu seinen „Mädels“ ist. Er hält sich schauspielerisch etwas zu sehr zurück für seine (Haupt-)Rolle, auch das schade, da wäre mehr drin und eben auch abwechslungsreicher gewesen.
Dazu viele, natürlich erlesen hübsche Jungdarstellerinnen (besonders Mary Arden und Claude Dantes machen ihren Job stark und enden in ihren Rollen schliesslich erschreckend-realistisch gespielt, erstere in einer spektakulären Feuerfoltersequenz, die andere in der Badewanne), die, um das Horrorklischee zu erfüllen, jedoch auch gerne unlogische Dinge tun, wie anonymen Anrufern Folge zu leisten, und damit keine Chance haben, dem Mörder zu entkommen.
Fazit:
Geniallo! Die ultimative Vorlage für ein ganzes, wunderbares Genre.
Darsteller:
Cameron Mitchell (als Max Marian) -Deutsch: Klaus Miedel
Eva Bartok (als Cristina Como) -Deutsch: Maria Landrock
Thomas Reiner (Polizeikommissar Silvestri) -Deutsch: er selbst
Mary Arden (als Peggy) -Deutsch: ?
Arianna Gorini (als Nicole) -Deutsch: Marianne Prenzel
Francesca Ungaro (als Isabella) -Deutsch: Eva-Maria Werth
Lea Krüger (=Lea Lander; als Greta) -Deutsch: Uta Hallant
Claude Dantes (als Tao-Li) -Deutsch: ?
Dante DiPaolo (als Franco Scalo) -Deutsch: Gerd Martienzen
Franco Ressel (=Franco Roussel; als Marquis Riccardo Morell) -Deutsch: Lothar Blumhagen
Massimo Righi (als Marco) -Deutsch: Wolfgang Draeger
Harriet White Medin (als Clarice, Peggys Hausdame) -Deutsch: Elfe Schneider
u.A.
Regie: Mario Bava
Drehbuch und Story: Marcello Fondato, Giuseppe Barilla, Mario Bava
Kamera: Ubaldo Terzano, Mario Bava (ungenannt)
Musik: Carlo Rustichelli
Schnitt: Mario Serandrei – Bauten: Arrigo Breschi – Make Up: Emilio Trani
Regieassistenz: Priscilla Contardi – Herstellungsleitung: Georges C.Stilly
Produktion: Alfredo Mirabile, Massimo Patrizi
Spoiler:
Max ist der Haupttäter. Das erste Opfer, Isabelle, musste sterben, weil sie ihn und Cristina mit dem Wissen um seine und Cristinas Ermordung deren Ehemannes erpresste. Dann erst erfuhr Max von dem Tagebuch, und die zwei weiteren Besitzerinnen der Aufzeichnungen (Nicole und Peggy) mussten ebenfalls sterben. Den vierten Mord, an Greta, hingegen beging Cristina, um Max mit einem Alibi gegenüber dem Kommissar als unverdächtig erscheinen zu lassen. Doch Cristina begeht noch einen weiteren, den insgesamt fünften und letzten Mord (an Tao-Li)- so entscheidet es Max. Als Cristina nach dieser Tat den Tatort verlassen will, klopft plötzlich jemand lautstark an die Tür- sie will durch das Fenster fliehen, eine Regenrinne, an der sie sich festhält, bricht, und sie stürzt dabei in die Tiefe. Der Anklopfer war Max, der die Regenrinne manipuliert hatte, und so Cristina aus dem Weg schaffen wollte. Später, als Max seine Sachen zusammenpackt, um zu verschwinden, taucht Cristina blutüberströmt auf- sie hat überlebt. Mit letzter Kraft erschiesst sie Max und ruft die Polizei an, um dann direkt neben ihm zusammenzubrechen und zu sterben. Ende.
Bodycount:
1- Max erwürgt Isabella
2- Nicole wird von Max mit der Eisenhand einer Ritterrüstung erstochen
3- Peggy wird von Max brutal gefoltert, sie stirbt, als er ihr Gesicht verbrennt
4- Greta wird von Cristina mit einem Kissen erstickt (der „Ablenk“-Mord, siehe Spoiler)
5- Cristina ertränkt Tao-Li in ihrer Badewanne, anschliessend schneidet sie ihr die Pulsadern durch, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Gemäss Max' Anweisungen drapiert sie die Maske des Mörders in der Wohnung, damit die Polizei denkt, Tao-Li wäre die Mörderin der vorhergegangenen Taten*
6/7- Max und Cristina, siehe Spoiler
* Die Maske wird zuvor im Film kurz von einer Augenzeugin erwähnt, so daß hier nicht, wie einige Kritiker bemängelten, ein Logikfehler besteht.