(38) Veröffentlicht: 23.August 2019

DIE STUNDE, WENN DRACULA KOMMT
Italien, 1960 (in Schwarz-Weiss) – Originallänge: 87 min. – Kino D: 83 min.
FSK 16 (
früher FSK 18)*
Originaltitel: La Maschera del Demonio (=dt.: Die Maske des Dämonen)
Drehzeit: 28.März-10.Mai 1960
Kinopremiere: Italien- 11.August 1960; D- 29.September 1961;
USA (als "Black Sunday")- 15.Februar 1961


> Plakate und Promomaterial
* Fast nur um Dialogsequenzen geschnitten, kam der Film damals in die deutschen Kinos, was angesichts anderer FSK-Entscheidungen erstaunt. Denn auch erst ab 18 freigegebene Filme wurden (und werden) von der Institution ja nur allzu gerne zerstückelt. Diese Szenen sind heutigen VÖ wieder hinzugefügt und deutsch untertitelt.  Die Veröffentlichungen in anderen Medien wurden dann nach einer Neuprüfung ungeschnitten ab 16 freigegeben.
In Großbritannien zum Beispiel war der Film allerdings bis 1968 komplett verboten, und auch danach, wie in vielen anderen Ländern auch, bis 1992 nur stark geschnitten erhältlich.



Schon der Originaltitel lässt es hier bei Mario Bava’s erstem eigenen kompletten Film (nachdem er zuvor mehrere Male Filmen anderer Regisseure assistieren, und sie teilweise nach deren Rausschmissen auch beenden durfte) erahnen- dieser Film hat nichts mit „Dracula“ zu tun, und der taucht in der Originalversion auch gar nicht auf. Doch die Popularität des Vampirfürsten brachte den deutschen Verleih dazu, den Titel nach ihrem Gutdünken zu ändern, und mit Hilfe einer recht „freien“ Synchronisation, „Dracula“ mitwirken zu lassen. Dies blieb für diesen Film ein Novum, und auch die englischsprachige Version (Titel: „Black Sunday“, später aber auch: „The Mask Of Satan“) verzichtete darauf.
Auch Bava’s zweiten Film („
Vampire gegen Herakles“, ohne wirkliche Vampire) ereilte ein zumindest ähnliches „Schicksal“ in Deutschland, was den Titel anging.
In Bava's Heimatland Italien, das dem Regisseur niemals so wirklich wohl gesonnen war, wurde der Film zwar ein Misserfolg, weltweit jedoch wurde er trotz eher negativer Pressereaktionen zu einem grossen Kassenmagneten (In den USA liess er gar Roger Corman's erste grandiose Poe-Verfilmung „Die Verfluchten“ weit hinter sich).
 

Spätere Filme Bava's mögen stilistisch teils ausgereifter und technisch aufgrund seiner Erfahrungen perfekter geworden sein, doch dieser Film bleibt zu Recht eines seiner bekanntesten und einflussreichsten Werke. Der Film ist, wie bei einem Bava nicht anders zu erwarten, ein visuelles Meisterwerk barocken Horrors, herausragend ausgestattet, bildtechnisch (bis heute) makellos (erhalten) und wie viele seiner Filme vom Stummfilm inspiriert. Man sollte sich als Zuschauer immer vor Augen führen, daß er hier erst sein erstes wirklich eigenständiges Werk vorlegte. Man kann sich nur ansatzweise vorstellen, was aus dem in schwarz-weiss gedrehten Film vielleicht noch ein bisschen mehr hätte werden können, hätte er, der begnadete Künstler, der auch-Kameramann, der Farbenästhet, hier schon mit Farben zu Werke gehen können. Doch Bava lehnte ein ihm später gemachtes und mehr als grosszügiges Angebot aus den USA (wo ein Verleih den Originalfilm schon früh für 100.000 Dollar angekauft hatte, und damit für mehr Geld, als das Gesamtbudget betragen hatte) für ein Remake in Farbe ab, so etwas war nie sein Ding und überhaupt blieb er dem europäischen Film Zeit seines Lebens treu. Für den scheuen Regisseur zählte sein nächstes, neues Werk immer am meisten und er blickte selten zurück.


Dem erst noch folgenden Splattergenre sollte dieser Film als eine der grössten Inspirationsquellen dienen, denn Bava zeigt den Schrecken mehrfach auch bewusst deutlich und mit viel Freude am Gore, was zu seiner Zeit natürlich noch weitaus verstörender sein musste, als es heute noch sein kann. Die Tricks und Make-Up-Effekte sind ausgefeilt und der Zeit voraus, die Verwandlung der entstellten zur wieder schönen Asa sind ein Meilenstein und symbolisch für den modernen Horrorfilm, die Erweckung ihres Geliebten Javutic wurde später unzählige Male kopiert, hat wenig mit den ansonsten in Vampirfilmen üblichen Darstellungen zu tun und kann daher auch als Vorbild für den modernen Zombiefilm gelten. Noch etwas interessantes: die Vampirzähne, die man an den Hauptdarstellern Steele und Dominici auf Promofotos noch gut erkennen kann, sind im Film schliesslich nicht benutzt worden, und auch „Kleinigkeiten“ (so sterben die Untoten hier durch das Durchbohren ihrer Augen) sind eher Vampirfilmunüblich.
1630 werden die junge Prinzessin Asa und ihr Geliebter und Vetter Javutic (der, der bei uns zu „Dracula“ wurde), wegen gemeinsamer Hexerei zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt (In der Originalversion sind Asa und Javutic noch deutlicher als in der deutschen Version in einer inzestuösen Beziehung gewesen, was auch ein Grund für die Anklage war. Dies war dem deutschen Verleih wohl zu brisant, und so wurde es für hierzulande, aber auch in der englischsprachigen Fassung, etwas „verharmlost“). Vor der Vollstreckung des Urteils verflucht Asa den Richter, der ausgerechnet ihr Bruder ist, und alle seine Nachkommen. Da ein Unwetter einsetzt, können die beiden Delinquenten nicht verbrannt werden, man begräbt sie getrennt. Beiden wird eine Dornenmaske auf ihr Gesicht aufgesetzt (die „Maske des Dämonen“ aus dem Originaltitel, die sie für alle Zeiten bannen soll).

Schon in diesen ersten, furios inszenierten weniger als fünf Epilogminuten präsentiert uns Bava mehr  beeindruckenden und neue Sehgewohnheiten schaffenden Horror, als andere ihn in einem kompletten Film unterbringen, und auch  in seiner Hauptgeschichte drosselt er sein irrwitziges Tempo kein bisschen, sondern nimmt uns weiter mit auf seiner Tour und in seine unnachahmliche Welt des Makabren und Gruseligen.

200 Jahre später erwecken Professor Kruvajan und sein Assistent Gorobec unvorsichtig-versehentlich die Hexe Asa zu neuem Leben, und diese kann auch Javutic aus dem Totenreich zurückholen. Die beiden können mit einem Biss Menschen in (zumindest Vampiren sehr ähnliche) Untote verwandeln, die ihnen dann absolut ergeben sind.
Asa's letzte Nachkommen, Fürst Vajda und seine Kinder Constantin und die Asa wie aus dem Gesicht geschnittene Katia sind das oberste Ziel ihrer Rache, doch auch jeder, der sich ihr in den Weg stellt, soll sterben müssen...
Die Engländerin Barbara Steele brilliert in einer Doppelrolle (und ihrer ersten Hauptrolle). Ganz bewusst verzichtet Bava zumeist auf eine sichtbare Unterscheidung zwischen den beiden Charakteren (Doppelidentitäten sollten ihn als Thematik in seinen Filmen auch weiter in seiner Karriere beschäftigen), allein die Mimik sagt uns manchmal, wen wir da gerade vor uns haben. Steele wurde mit diesem Film zu einer internationalen Ikone des Horrorkinos (obwohl sie dem Genre tatsächlich meist eher kritisch gegenüberstand) und beeindruckt schon hier durch ihre darstellerische Begabung und Szenenpräsenz, wir sind angetan von ihrer Schönheit (in beiden Rollen), doch entsetzt von ihrer (zeitweisen) Fratze und der zügellosen Grausamkeit, die sie als Hexe zeigt. Obwohl sie noch viele Filme in Italien drehen sollte, kam es nie wieder zu einer Zusammenarbeit mit Mario Bava. Es ist heute bekannt, daß das Verhältnis der beiden von Anfang an sehr problematisch war, und er sie mehrfach bis an den Rand des für sie als Newcomerin erträglichen gefordert hatte.


Der ansonsten (leider) eher unbekannt gebliebene Arturo Dominici ist in seinen nur wenigen Szenen (und das als „Titelfigur“) so angsteinflössend, wie es sonst wohl nur wenige Schauspieler in derlei Filmen schaffen, er braucht dafür nicht viele Dialoge, sein Spiel und die Art, wie er die Szenerie immer wieder betritt und wie Bava ihn im Halbdunkel erscheinen lässt, reichen dafür völlig aus.
Das übrige Ensemble muss da (trotz öfteren Erscheinens im Bild) nicht mehr so viel bieten, um den Film am Laufen zu halten und uns zu unterhalten, die professionelle Routine reicht aus. Richardson als junger Gentleman, vom ersten Augenblick an von Katia angetan und mutig um ihr Wohl bemüht; Checchi sowohl als intelligenter Herr als dann auch als brutaler Untoter; Garrani als früh das Unheil kommen sehender, liebevoller Vater, doch dann als ebenso schlimmer Finger; und selbst Olivieri als etwas naiver Schönling- alle toll anzusehen.

Tim Burton übrigens bezeichnet diesen Film als seinen von ihm favorisierten Horrorfilm, und In „Das Omen“ von Richard Donner sollte 1976 im Szenenbild besonders offensichtlich den Friedhofsszenen Tribut gezollt werden.

Fazit:
Willkommen in Mario Bava’s einzigartiger und wegweisender Schreckenswelt.
Kunst, Klassiker und zu Recht Kult, der einen von Beginn an schockiert und zugleich in seinen Bann zieht- wunderbar fotografiert, fein musikalisch untermalt. ruhig geschnitten und fehlerfrei schön dekoriert.

Bei diesem Film stört selbst das etwas kitschige Happy-End nicht.

Darsteller:
Barbara Steele (
hier: Steel; als Prinzessin Asa Vajda/Prinzessin Katia Vajda) – Deutsch: Maria Landrock
John Richardson (als Dr.Andrej Gorobec) – Deutsch: Christian Marschall
Arturo Dominici (als Igor Javutic, in deutscher Version „Dracula“) - Deutsch: Wolfgang Eichberger
Ivo Garrani (als Fürst Vajda, Katias und Constantins Vater) – Deutsch: Klaus W.Krause
Andrea Checchi (als Professor Choma Kruvajan) – Deutsch: Heinz Engelmann
Enrico Olivieri (als Prinz Constantin Vajda, Katias Bruder) – Deutsch: Horst Raspe
Antonio Perfederici (als Priester) – Deutsch: Herbert Weicker
u.A.
Erzähler: Nando Gazzolo – Deutsch: Klaus W.Krause

Die deutsche Synchronisation ist famos und famos-passend besetzt (interessanterweise sprach Wolfgang Eichberger, hier in Deutsch als „Dracula“ verkauft, auch Christopher Lee in dessen erstem „Dracula“-Film der Hammer von 1956) und exzellent gesprochen. Auch die Qualität ist bis heute hervorragend erhalten- ein Beispiel dafür, wie man eine durchweg gelungene Synchronfassung erstellen kann.

Regie: Mario Bava
Drehbuch: Ennio De Concini, Mario Serandrei, Marcello Coscia (ungenannt), Mario Bava (ungenannt)
Unter Verwendung von Motiven aus der Erzählung “Vij” (1835) von Nikolaj Gogol
Musik: Roberto Nicolosi (Zusätzliche Musik, nur für die amerikanische Version: Les Baxter)
Kamera: Mario Bava – Kameraassistenz: Umberto Terzano
Schnitt: Mario Serandrei
Produktionsdesign: Giorgio Giovannini
Szenenbild: Nedo Azzini
Kostüme: Tina Loriedo Grani
Spezialeffekte: Eugenio Bava, Mario Bava
Regieassistenz: Vana Caruso
Produktion: Massimo De Rita


Spoiler:
Asa gelingt es, Katia zu überwältigen- deren Blut soll ihr zur alten Kraft verhelfen, und Katia zu ihrer und Javutic's untoter Dienerin werden. In letzter Sekunde erscheint Gorobec, doch muss er zunächst gegen Javutic kämpfen und besiegt diesen auch. Als Gorobec sich um Katia kümmern kann, scheint sie wohlauf, doch tatsächlich ist es Asa, die ihn zunächst täuschen kann und kurz davor ist, ihn zu hypnotisieren. Da erreichen der Priester und die Dorfbewohner das Schloss, sie retten Gorobec, und verbrennen Asa (endlich doch) auf dem Scheiterhaufen. Katia überlebt, und sie und Gorobec küssen sich. Ende.

Bodycount:
- Asa und Javutic: siehe Inhalt, sterben am Ende dann tatsächlich doch (Javutic wird von Gorobec getötet; Asa von den Dorfbewohnern auf dem Scheiterhaufen verbrannt)
- Professor Kruvajan: wird von Asa gebissen und zum Untoten; der Priester „erlöst“ ihn später, indem er ihm einen Pfahl ins Auge sticht (nicht ins Herz)
- Fürst Vajda: wird gebissen und für tot erklärt, erwacht aber als Untoter und wird kurz vor Filmende von Javutic ins Feuer geworfen und verbrennt
- Der Kutscher des Fürsten Vajda wird gebissen und seine Leiche am Ufer eines Sees gefunden
- Ein Diener des Fürsten Vajda wird erhängt
- Constantin stürzt auf der Flucht vor Javutic in einen Schacht und erliegt später den Verletzungen