> Seite 2 (Spoiler/Bodycount und Plakate/Aushangfotos)
Italien/D,
1970 – Originallänge: 105 min. - Kino D: 93 min./FSK
16
Originaltitel: L'uccello dalle piume di cristallo (= Der Vogel
mit dem Gefieder aus Kristall)
Englischsprachiger
Titel: The Bird With The Crystal Plumage; auch:
The Gallery Murders
Drehzeit: 25.August-14.Oktober 1969 (komplett
in Italien)
Kinopremieren: Italien- 27.Februar 1970; D- 24.Juni
1970
Der
Film wurde nur in D als ein Film aus der „Bryan Edgar Wallace-Reihe“ vermarktet,
ohne daß es irgendeinen nament- oder inhaltlichen Bezug zu einem seiner Romane gibt
Darsteller:
Tony
Musante als Sam Dalmas – Deutsch: Rainer Brandt
Suzy Kendall als
Julia, seine Freundin – Deutsch: Ursula Heyer
Enrico Maria Salerno als Kommissar
Morosini – Deutsch: Friedrich W.Bauschulte
Eva Renzi als Monica
Ranieri – Deutsch: Sie selbst
Umberto Raho als Alberto Ranieri,
ihr Mann – Deutsch: Harry Wüstenhagen
Raf Valenti (=Renato Romano) als Professor Carlo Dover, Freund von Sam – Deutsch: Edgar
Ott
Giuseppe Castellano als Monti, Kriminalpolizist – Deutsch: ?
Mario Adorf
als Berto Consalvi, Maler – Deutsch: Er selbst
Pino Patti als Faiena, Informant –
Deutsch: Hans Walter Clasen
Gildo Di Marco als Garullo, Zuhälter von Opfer Zwei –
Deutsch: Gerd Martienzen
Werner Peters als Antiquitätenhändler –
Deutsch: Er selbst
Reggie Nalder als Auftragskiller – Deutsch: ?
Rosa Toros (=Rosita Torosh) als Opfer Nummer Vier – Deutsch: ?
Karen Valenti als
Opfer Nummer Fünf – Deutsch: Evelyn Gressmann
u.A.
Die
Hand des Mörders wird von Regisseur Dario Argento „gespielt“
Der
amerikanische Schriftsteller Sam Dalmas, der sich mit seiner Freundin Julia in Italien aufhält, wird in Rom eines Nachts Zeuge,
wie in einer Kunstgalerie Monica Ranieri, die Frau des Galeristen,
Opfer eines Mordversuchs wird- eine mit schwarzem Mantel und
schwarzen Handschuhen bekleidete Person greift die Frau mit einem
Messer an.
Obwohl Sam die Frau retten kann, wird er zunächst von
der Polizei verdächtigt, selbst der Serienmörder zu sein, der in
gleicher Art und Weise und ohne erkennbares Motiv bereits dreimal zugeschlagen hat. Von
ständigen Erinnerungen (Alpträumen und Visionen) an die Vorkomnisse der Nacht gequält (vor allem, weil ihm "irgendetwas" seltsam vorkommt, an das er sich nicht mehr erinnern kann),
beginnt Sam auf eigene Faust, aber auch mit Wissen des
ermittelnden Kommissars Morosini (der
ihn dabei anfangs nur ausnutzt, was ihm aber später leid tut),
nachzuforschen. Das bringt Dalmas jedoch in Gefahr- der Täter
verübt nun, auch mit Hilfe eines Killers, Anschläge auf ihn, da Sam mit seinen noch unvollständigen Wissen für den Mörder zur Gefahr wird...
Schon mit diesem, seinem (im Heimatland immens erfolgreichen) Regiedebüt gelang Dario Argento (ursprünglich Filmkritiker, dann Drehbuchschreiber, so auch für den legendären Italowestern „Spiel mir das Lied vom Tod“) sozusagen der modernisierte Grundstein für den harten italienischen Kriminalfilm, den Giallo. So leitete Argento's Werk auch die kommerziell erfolgreichste Giallo-Phase bis Mitte der 1970er Jahre ein. Sicher hat er das Genre nicht erfunden, das war 1964 schon Mario Bava mit „Blutige Seide“ gelungen, doch legte er vor allem bei den expliziten Szenen (Nacktheit und Gewalt) gerade für die Zeit noch (tatsächlich aber geradezu ästhetisch inszenierte) Schippen drauf, was spätestens von nun an zu den umstrittensten „Stilmitteln“ des Genres werden sollte.
Wie auch weitere ähnliche Filme der frühen 1970er wurde auch dieser hierzulande (und nur hierzulande) als (in dem Fall aus rechtlichen Gründen Bryan Edgar-) Wallace vermarktet. In Italien (und das, obwohl die deutsche Edgar Wallace-Filmreihe mindestens die Macher der frühen Giallos unbestritten und massgeblich mitbeeinflusst hatte) waren Vater und Sohn Wallace der Masse tatsächlich zu unbekannt, als daß man sie als „Gütesiegel“ hätte verwenden wollen. Doch wurde der Film in Deutschland etwas umgeschnitten und stark gekürzt (nicht nur um „schlimme“ Szenen, auch teils Handlungswichtige Dialoge fielen weg, so daß den meisten heutigen Veröffentlichungen der deutschen Kinofassung bei uns etwa drei Minuten untertitelte Originalszenen beigefügt wurden, damit man der Handlung besser folgen kann).
Die ersten Minuten des Films kommen zwar noch bedächtig und langsam daher, doch der Spannungsaufbau ist schon jetzt, auch gerade deshalb, gelungen. Zunächst sieht man während des Vorspanns die Vorbereitungen des (Giallotypisch in Schwarz maskierten und nur selten gezeigten, hier zumeist durch seine Handschuhe erkennbaren) Täters auf seinen nächsten Mord, die Auswahl der Waffe und die Beobachtung des hübschen, weiblichen, zufällig ausgewählten Opfers (überwiegend aus des Mörders Blickwinkel). Der Zuschauer erfährt, daß es nicht des Bösen erste Missetat ist, gezeigt wird uns jedoch (noch) nichts von seiner Vorgehensweise.
Dann lernen wir Sam, die Hauptfigur kennen, der sich wegen einer massiven Schreibblockade mit einem Gelegenheitsjob als Vogelbeobachter über Wasser halten muss (also in Richtung gescheiterte Existenz verordnet werden kann), und sehen, anfangs zumeist aus seiner hilflosen Perspektive, die Vorkomnisse in der Galerie. Jetzt greift Argento ein Motiv auf, daß ihn auch später in seiner Regisseurslaufbahn immer wieder beschäftigen sollte, und ihm (neben anderem) oft den Vergleich mit Alfred Hitchcock* einbrachte, der dies schon weit früher regelmässig getan hatte- der Unschuldige, der seine Unschuld selbst beweisen muss (hier noch variiert mit: aber selbst, wenn er die Polizei von seiner Unschuld überzeugt hat, weiter auf eigene Faust mitermittelt- und letztlich auch den Fall so gut wie alleine klären wird).
Natürlich ist das von Anfang an unrealistisch, würde jede Polizei doch eine solche „Mitarbeit“ eines „Amateurs“ unterbinden (geschweige denn, sie, wie hier, der leitende Kommissar, teils noch unterstützen); und ist im folgenden manche Erkenntnis eher ein Zufallsprodukt als nachvollziehbar (der Informant aus dem Nichts kommend), kommt manche Spur so einfach dahergezeigt, oder ist gar Zeitfüllsel (der, zugegeben aber lustig-auflockernde, Besuch beim Maler). Doch das stört den Thriller in seinem Lauf nicht, und verursacht der Spannung keinen Abbruch. Insgesamt hat der Film genügend Format, das den Zuschauer darüber hinwegsehen lässt, weil er immer mit am Ball ist und gut und abwechslungsreich unterhalten und ge-thrillt wird.
In makelloser Optik (nicht ganz so farbintensiv wie von Mario Bava bevorzugt) und in stylishen, Raum einnehmenden Kulissen- egal, ob die unbehagliche Galerie und ein kaltes Luxusappartment; das runtergekommene Mietshaus, in dem Sam wohnt; oder die verranzte Bruchbude des Malers- ist schon hier die in den Filmen danach noch verfeinerte visuelle Handschrift Dario Argento's zu erkennen, und auch, daß er bei Bava gelernt hat, ohne diesen nur zu kopieren.
Nur die Räume, in denen schreckliches geschieht, sind grundsätzlich beengt, so daß dem Opfer keine Fluchtmöglichkeit gelassen wird. Der Täter hat leichtes Spiel. Er bestimmt, er schlägt zu, wenn er es für richtig hält, er kündigt seine Taten sogar unverschämterweise der Polizei und Sam an, und Argento lässt draufhalten. Nicht umsonst ist es der Giallo und die für ihn Verantwortlichen, die den amerikanischen Slasherfilm beeinflussten, prägten, und von ihm gern und oft kopiert wurden (eben auch die Mordszenen).
Und auch inhaltlich denkt Argento quer, gegen den Massengeschmack- die Auflösung ist letztlich einfach, hängt an Kleinigkeiten, an einem Bild und einem Tiergeräusch. Doch wenn es dann zu Ende zu sein scheint, schlägt die Handlung noch eine Kapriole und er hat noch einen draufzusetzen.
Die international durchmischte Besetzung geizt mit den ganz grossen Namen, ist dadurch aber umso interessanter:
Der US-Amerikaner Tony Musante spielt teilweise etwas zurückgenommen (glaubwürdige Überlieferungen berichten davon, daß er und Regisseur Argento in vielem unterschiedlicher Meinung waren), doch sein einzelgängerisches und letztendlich stur-konsequentes Verhalten erreicht des Zuschauers absolutes Mitfiebern mit seiner lebensgefährlichen Aufgabe;
Suzy Kendall (Edgar Wallace-erfahrene Engländerin aus „Das Rätsel des silbernen Dreiecks“, die schon 1977 ihre Filmkarriere beendete) hat (leider) lange zu wenig Präsenz (und wirkt dann oft nur wie hübsches Beiwerk zum Helden), um besonders aufzufallen. Spätestens aber wenn sie auf sich allein gestellt gegen den Mörder antreten muss, weiß sie zu beeindrucken;
Enrico Maria Salerno als Kommissar darf von Arschlochbulle bis Helfer in der Not alles zeigen und macht das toll;
die deutsche Eva Renzi und Umberto Raho als Galeristenpaar bleiben lange mysteriös, auch wegen ihrer immer-mal-wieder-Präsenz.
In den Nebenrollen dürfen alle brillieren- „uns“ Werner Peters als herrlich tuntiger Verkäufer; Adorf in seiner eigentlich nicht wirklich wichtigen Rolle als Katzenfressender(!) Malerfreak; Raf Valenti als guter Freund; und auch Gildo DiMarco als Knastbruder (dem man aber das Stottern ruhig hätte ersparen können).
Trotz zumeist schnellem Tempo ist der Schnitt nie konfus oder hektisch; unterstützt durch nahes Heranzoomen und gerne lange Kameraeinstellungen und -fahrten gibt der Film dem Betrachter stets ein Gefühl des Dabeiseins, das noch verstärkt wird, wenn aus der Sicht des jeweiligen (nicht nur, aber oft des bösen) Protagonisten zugeschaut werden kann. Besonders beeindruckend ist dies, wenn quasi wir morden oder wir aus einem Fenster stürzen und die Sichtposition des Fallenden einnehmen. Gerade auch dieses „Point Of View“ sollte sich der US-amerikanische Slasherfilm wenig später bei den Italienern abschauen.
Morricone's (sofort als die seine zu identifizierende) Musik passt mal wieder wie die Faust aufs Auge, vom ruhig gesäuseltem Einstieg (der ein bisschen vom „Rosemary's Baby“-Thema abgekupfert zu sein scheint), über reduzierten Atempausenslowjazz bis aufgedreht-unheilvollem Gruselscore zur Untermalung der Explizität ist alles dabei und an den richtigen Stellen eingesetzt.
Fazit:
Verschachtelter, für das Genre bedeutsamer Thrillerklassiker, der trotz mehrerer Logiklöcher und hier und da überflüssiger und zu lang herausgespielter Spurenlagen durchweg fesselt. Die faszinierende Optik reisst alles raus, was bei der Handlung irritieren mag- ein Film in einer eigenen Welt, die eben alles darf und kann, hauptsache sie dreht sich weiter. Ein selten grandioses Erstlingswerk und Auftakt zu einer grossen Regisseurskarriere.
Der Film ist der erste Teil der oft so genannten „Tier"-Trilogie von Dario Argento. Dabei taucht in den (Original)titeln der Filme jeweils ein Tier auf und spielt bei der Lösung des Falles auch eine Rolle. Handlungstechnisch aber haben die Filme nichts miteinander zu tun.
Es folgten 1971 "Die neunschwänzige Katze" und "Vier Fliegen auf grauem Samt".
* Trivia:
Argento hat sich stets gegen den Vergleich mit Hitchcock gewehrt, diesem zugleich Respekt zollend. Erwähnenswert ist jedoch, daß Reggie Nalder (der bei Hitchcock's „Der Mann, der zuviel wusste” James Stewart nach dem Leben trachtete) auch hier als Killer auftritt- da in den Credits ungenannt, wohl als (aber längeres und dank seines Spiels auffälliges) Cameo (gedacht).
Stab:
Regie und Drehbuch**: Dario Argento
Kamera: Vittorio Storaro
Musik: Ennio Morricone
Schnitt: Franco Fraticelli
Ton: Carlo Diotavelli
Produktionsdesign und Kostüme: Dario Micheli
Make Up: Pino Ferrante (=Giuseppe Ferranti)
Regieassistenz: Roberto Pariante
Produktionsleitung: Camillo Teti
Ausführender Produzent: Artur Brauner (CCC-Filmkunst Berlin)
Produktion: Salvatore Argento
** Nach Motiven des Romans „Die schwarze Statue“ (in D auch als „Der Ripper von Chicago” erschienen; Originaltitel: „The Screaming Mimi“) von Fredric Brown aus dem Jahr 1949 (Ungenannt in den Credits).
Später in Interviews gab Argento zu, daß ursprünglich dieser Roman verfilmt werden sollte (wie schon einmal 1958), doch reichte das Geld nicht für den Erwerb der nötigen Rechte. Und so schrieb er schliesslich eine neue Geschichte rund um die Grundidee des Romans. Von einer späteren Urheberrechtsklage ist nichts bekannt.