(9) Veröffentlichung: 18.Januar 2019

Das Finale auf den Dächern von Rom
Filmdaten:
D/Italien/Frankreich, 1971
Italienischer Titel:
Il gatto a nove code
Französischer Titel: Le Chat a neuf Queues

Originallänge (ungeschnitten): 114 min. -  Länge Kino D: 90 min.
- FSK: 16

Drehzeit: 3.September-29.Oktober 1970 (komplett in Italien)
Kinopremieren: Italien-12. Februar 1971; Frankreich- 9.August 1971; D- 15.Juli 1971


Heutigen deutschen Veröffentlichungen sind in der Regel die damals im Kino fehlenden Szenen (aus der englischsprachigen Fassung, mit deutschen Untertiteln) hinzugefügt/FSK 16

Inhalt:
In Rom wird Dr.Calabresi, Mitarbeiter einer geheimnisumwitterten Forschungseinrichtung, in die kurz zuvor eingebrochen worden war, brutal ermordet, und kurz danach auch Personen, die in direktem Zusammenhang zu ihm und der Tat stehen (ein Fotograf, der den Mord fotografiert hat und damit die Gewalttat als solche überhaupt erst beweisen konnte, und die Verlobte des ermordeten Wissenschaftlers). Ein durch einen Unfall erblindeter ehemaliger Journalist (Karl Malden, der nur kurz danach auf die Fernseh-"Strassen von San Francisco" ziehen sollte), dem als erstem Ungereimtheiten und Zusammenhänge auffallen, und sein junger, manchmal allzu draufgängerischer Kollege (James Franciscus) ermitteln auf eigene Faust (und geraten dadurch auch ins Fadenkreuz des Killers), da die Polizei den Täter „nur“ für einen „normalen“ Wahnsinnigen hält…
(Fortsetzung siehe ganz unten)

Gehen der Sache auf den Grund: James Franciscus (links) und Karl Malden (rechts)
Hintergründe/Bewertung:
In einem unterscheiden sich die Original- und die um einiges kürzere deutsche Kinoversion nicht- in ihrem einzigen grossen Manko, das leider an zwei Stellen den Genuss eines ansonsten grossartigen Thrillers trübt. Anfangs kommt man als Zuschauer ungefähr die erste Viertelstunde nicht so richtig „rein“ in den Film (es passiert zuviel, zu schnell und alles verwirrend), und kurz vor dem Finale dann eine ähnliche Situation. Beides ist ärgerlich, denn sowohl dazwischen als auch in den letzten Minuten (in denen selbst eine eigentlich etwas zu lang geratene Friedhofssequenz inklusive Grabschändung nicht langweilt), hat Dario Argento einen vorzüglichen Giallo (eine italienische Form des härteren Kriminalfilms, mehr davon sogar noch in der Originalversion) abgeliefert (der nur in Deutschland als Wallace vermarktet wurde, hier allerdings auch nur auf den Plakaten und in den Trailern- im Vorspann sucht man den Namen vergeblich).
Der Film beruht ohnehin nur vorgeblich auf einer Geschichte von Bryan Edgar Wallace, dem eher wenig erfolgreichen Sohn des umso bekannteren Edgar. Die Filme nach Werken des Vaters waren besonders in Deutschland grosse Kassenschlager geworden, und andere Produzenten (vor allem Artur Brauner und seine CCC-Film, die damals auf jeden Zug aufsprangen, der Geld versprach) hofften auf Erfolg. Es entstanden mehrere Verfilmungen auch von Werken des Sohnes (bereits seit Anfang der sechziger Jahre), die aber fast alle nicht (zum Teil sogar unverständlicherweise, da sehr gelungene Filme darunter sind) an die Erfolge der Verfilmungen von seines Vaters Romanen anknüpfen konnten.
Jegliche Anbiederung an die Edgar-Wallace-Reihe hat der Film aber weder nötig gehabt, noch wird es ihm gerecht. Vielleicht erreichte er aber dadurch tatsächlich ein paar Zuschauer mehr, als er es sonst getan hätte, und das ist dem sehr eigenständigen Werk dann doch durchaus zu gönnen.

Der Film überzeugt zum einen durch seine handwerkliche Perfektion (vor allem dank einer beobachtend-fast distanzierten Kameraführung), zum anderen durch eine Handlung, die immer wieder mit Wendungen überrascht und nie an Spannung nachlässt. Immer, wenn man denkt, es geht nicht mehr weiter, und es müsste doch jetzt der Täter gefasst werden können, fällt Argento ein neuer Kniff ein, der die Handlung vorantreibt. Auch bei ihm eher seltene Auflockerungssequenzen bekommt er toll hin, so etwa ein über Morde mit Rasiermessern sinnierender Friseur oder ein nerviger Polizist mit seinem Raviolifamilienrezept.
Langeweile kommt nicht auf (was der Film auch in der Originalversion zustande bringt). Mit dem eher langsamen Tempo (vor allem) früher Wallace-Krimis hat der Film sowieso gar nichts zu tun, sondern ist eine unbedingte Empfehlung für jeden, der gut gemachte Thriller auf hohem Niveau mag. Der Film ist durchgängig fesselnde Unterhaltung- ein unheimlicher und fast düsterer Nervenkitzel.
Morricone's Musik ist ungewohnt sphärisch, sehr modern für die damalige Zeit, aber ein absolutes Sahnehäubchen auf dem Film.


Karl Malden und die unbeschwert-überzeugend aufspielende Cinzia De Carolis
Die spielfreudigen amerikanischen Hauptdarsteller liefern tolle und engagierte Leistungen ab (leider muss/te man genau das ja oft vermissen, wenn Hollywoodakteure ihre gutbezahlten Europaabstecher machen/machten)- Schauspielurgestein Karl Malden spielt den Blinden engagiert und glaubhaft, James Franciscus ("Rückkehr zum Planet der Affen") seinen Part in jeder Situation (egal ob als Frauenheld oder als Actionmacher) umwerfend. Hat man Horst Frank hier gesehen, weiss man, warum der Deutsche ein gern besetzter „Spezialist“ für die undurchsichtigen Charaktere war, gleiches gilt für Werner Pochath, der hier leider nur kurz zum Einsatz kommen darf. Die weiblichen Darsteller sind, obwohl Argento das gewohnterweise schon sehr betont, dennoch weit mehr als nur hübsches Beiwerk. Die kleine Cinzia De Carolis (damals ein bekannter Fernsehkinderstar in Italien) ist in ihrem Debütfilm eine echte Entdeckung- als Erwachsene ist sie 1980 in Antonio Margheriti's umstrittenem Kannibalenfilm „Asphaltkannibalen“ zu sehen, danach zog sie sich fast komplett von vor der Kamera zurück.

Obwohl der Film als einziger in der Karriere von Dario Argento in seinem Heimatland Italien keine Probleme mit den Zensurbehörden bekam, wurde für Deutschland nur eine um über zwanzig Minuten gekürzte Fassung synchronisiert und in die Kinos gebracht. Die Kürzung hier erfolgte wohl, um den Film an die damaligen Sehgewohnheiten des deutschen Kinogängers anzupassen, ein (Wallace-) Krimi mit fast zwei Stunden Laufzeit war zu der Zeit schlichtweg nicht üblich. Aber auch in Italien lief letztlich zumeist eine um drei Minuten verkürzte, „alternative“ Fassung in den Kinos und erst in neuerer Zeit wurde auch der ungeschnittene Film veröffentlicht.

Man sollte bei diesem Film besser nicht mal eben zwischendurch aus dem Raum gehen, schon könnte man etwas verpasst haben!

Catherine Spaak, Pier Paolo Capponi- die hübsche und der Polizist
Von links: Werner Pochath, Horst Frank; Tino Carraro
Erklätung des Filmtitels:
Arnó und Giordani erstellen eine „Liste“ von insgesamt neun Ermittlungsansätzen, und vergleichen dies mit einer neunschwänzigen Katze (sowohl dem Tier als auch der Peitsche).
Fünf in den Fall involvierte Wissenschaftler (Terzi, Braun, Casoni, Calabresi und ein weiterer, der im Film keine grosse Rolle spielt); Anna, Terzis Tochter, von der sie glauben, daß sie mehr weiss als es scheint, und die tatsächlich ein Geheimnis verbirgt, was aber mit dem Fall nichts zu tun hat; Bianca, Calabresis Verlobte; die verschwundenen Fotos des ersten Mordes; und der Einbruch in das Institut (der später im Film allerdings nicht mehr gross thematisiert wird).

Aldo Reggiani, Rada Rassimov
Fazit:
Hat zwar mit Wallace so gut wie nichts zu tun, ist aber trotzdem (auch für den Freund des „gereifteren“ Genres
Wallace, und vor allem für Freunde des gepflegten Giallo) insgesamt, trotz seines Verwirrmankos (siehe oben), ein Knaller, den man guten Gewissens auch in der deutschen kompakt(er)en Kinoversion schauen kann. Auch heutige Veröffentlichungen bieten zum Teil nur die neunzigminütige deutsche Fassung an, darauf ist zu achten, wenn man den Film einmal in seiner Gänze schauen will.
Mit Ausnahme eines kleinen und sehr kurzen Ausfalls der Bildqualität (exakt zur Filmhälfte), sind Bild und Ton auf heutigen Veröffentlichungen fehlerfrei, und zwar in jeder der Versionen.


Die deutsche Synchronisation ist bis auf die Tatsache, daß Rainer Brandt (auch Dialogbuchschreiberling) dem Giordani völlig unangemessene Schnoddrigkeit und dümmlich-Möchtegerncoole Sprüche (à la Spencer/Hill) in den Mund legt (die es so im Original nicht gibt), hervorragend.

Obwohl (oder gerade weil?) der Film (unter dem Titel "The Cat O'Nine Tails" auch in englischsprachigen Ländern) zu seinem grössten kommerziellen Erfolg wurde, bezeichnete Argento ihn schon oft als den von ihm selbst "am wenigsten favorisierten", ohne ihn jedoch ausdrücklich als schlechtesten seiner Karriere zu benennen.


Darsteller:
Karl Malden (als Franco Arnó) -Deutsch: Friedrich W.Bauschulte
James Franciscus (als Carlo Giordani) -Deutsch: Rainer Brandt
Horst Frank (als Dr.Braun, stellv.Institutsleiter) -Deutsch: er selbst
Catherine Spaak (als Anna Terzi) -Deutsch: Evelyn Gressmann
Tino Carraro (als Professor Terzi, Institutsleiter) -Deutsch: Arnold Marquis
Pier Paolo Capponi (als Polizist Spini) -Deutsch: Christian Rode
Rada Rassimov (als Bianca Merusi) -Deutsch: Almut Eggert
Aldo Reggiani (als Dr.Casoni) -Deutsch: Thomas Danneberg
Carlo Alighiero (als Dr.Calabresi) -Deutsch: ?
Werner Pochath (als Manuel) -Deutsch: Joachim Kemmer
Cinzia De Carolis (als Lori) -Deutsch: ?
u.A.


Regie und Drehbuch: Dario Argento
Story: Dario Argento, Luigi Collo, Dardano Sacchetti
Kamera: Erico Menczer
Musik: Ennio Morricone
Schnitt: Franco Fraticelli
Produktionsdesign und Kostüme: Carlo Leva
Visuelle Effekte und Titeldesign: Luciano Vitton
Make Up: Giuseppe Ferranti, Piero Mecacci
Regieassistenz: Roberto Pariante
Produktion: Salvatore Argento



Siehe auch:
Die deutschen Wallace-Kriminalfilme 1959-1972
(Die in diesem Blog besprochenen Filme sind von dort aus verlinkt)

Der Film ist der zweite Teil der oft so genannten "Tier"-Trilogie von Dario Argento. Dabei taucht in den (Original)titeln der Filme jeweils ein Tier auf und spielt bei der Lösung des Falles auch eine immer recht grosse Rolle.
Der erste Film war 1970 "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe
",
es folgte noch "Vier Fliegen auf grauem Samt" (1971).


Spoiler:
Der Mörder ist der junge Wissenschaftler Dr.Casoni (den Aldo Reggiani recht unauffällig, und damit auch zuvor unverdächtig wirkend), spielt.

Erkenntnissen eines Forscherteams des Instituts zufolge soll es möglich sein, anhand eines zusätzlichen Chromosoms beim Menschen eine angeborene Veranlagung zu hoher Aggressivität und schwerer Kriminalität nachzuweisen- noch vor dem Begehen einer Straftat. Casoni musste erkennen, daß er selbst ein solches Chromosom in sich trägt. Nachdem er seinen Befund gegen den eines Kollegen ausgetauscht hatte, wurde er von seinem Kollegen Calabresi, der dies beobachtet hatte, erpresst und startete seine Mordserie.
Die Chromosomengeschichte spielt sich (fast aufdringlich) erst während des Films in den Vordergrund auch der Ermittlungen, und der Zuschauer ahnt, daß sie etwas mit der Lösung des Falls zu tun haben könnte.

Finale:
Casoni nimmt die kleine Lori, Arnós Nichte, als Geisel, um seine Verfolger Arnó und Giordani, die ihm im Gegensatz zu der im Dunkeln tappenden Polizei immer näher auf die Schliche gekommen sind, zu erpressen. Doch Arnó kann den Täter schliesslich stellen, und tötet ihn durch einen Stoß durch ein Dachfenster, von wo aus Casoni in die Tiefe stürzt und stirbt. In der Schlußszene wird Arnó, der dachte, Casoni hätte auch Lori getötet, von dieser, die inzwischen befreit werden konnte, gerufen und antwortet ihr.

Die kleine Lori in Geiselhaft
Bodycount:
1. Calabresi wird von Casoni vor einen einfahrenden Zug gestossen: Die Szene ist nicht nur heftig (und gut) getrickst, der lakonische Kommentar eines Anwesenden “Da ist aber einer unter die Räder gekommen” verleiht ihr etwas besonders makabres.
2. Der Fotograf, der den vermeintlichen Unfall Calabresis fotografiert hatte, wird von Casoni mit einem Drahtseil erwürgt, damit Casoni die Fotos an sich bringen kann. Anschliessend zerschneidet Casoni dem Fotografen das Gesicht.
3. Bianca, Calabresis Verlobte, wird von Casoni erwürgt. Sie fand einen Zettel, aus dem hervorging, mit wem Calabresi verabredet gewesen war (wer also sein Mörder sein musste), konnte dieses Wissen aber nicht mehr teilen. Zwar hatte sie sich mit Arnó verabredt, um ihm den Zettel zu zeigen, ihm aber am Telefon nicht gesagt, was daraufstand (womit der Film dann ja auch quasi zu Ende gewesen wäre). Die recht lange Friedhofssequenz ist dadurch begründet, denn den Anhänger, in dem sich der Zettel befindet, ist mit Bianca in ihrem Grab.
4. Dr.Braun wird von Casoni erstochen- der Mord selber wird nicht im Film gezeigt, nur die Leiche.
5. Casoni wird von Arnó getötet, siehe Spoiler/Finale.


Auf dem französischen Filmplakat sieht man, daß Karl Malden in seinem Blindenstock ein Messer versteckt