(51) Veröffentlicht: 28.September 2019

D/Italien, 1972 – Originallänge: 102 min./Kino D: 92 min. – FSK: 16
Italienischer Originaltitel:
Cosa avete fatto a Solange?
(=deutsch: Was habt ihr Solange angetan?)
Drehzeit: 13.September-1.November 1971
Kinopremiere: D- 9.März 1972; Italien- 23.März 1972


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Der 35.deutsche Edgar Wallace-Kriminalfilm der Nachkriegszeit, und nach dem ersten bemerkenswerten finanziellen Reinfall der Serie mit „Das Gesicht im Dunkeln“ (1969) der zweite in italienischer Co-Produktion, hatte sich vom Stil der rein deutschen Produktionen der sechziger Jahre weit entfernt. Man wollte auch auf dem internationalen Markt präsent sein (und das, obwohl Edgar Wallace in Italien kaum bekannt war, und demzufolge dieses “Vermarktungssiegel“ dort auch fast komplett weggelassen wurde), doch nicht nur dem deutschen Publikum (knapp 1,1 Millionen Kinogänger bedeuteten das zweitschlechteste Ergebnis seit 1966), gefiel (auch) dieser Film nicht (mehr) besonders. So wurde er schliesslich der vorletzte Film der erfolgreichsten und langlebigsten deutschen Filmreihe nicht nur ihrer Zeit, ist dafür aber tatsächlich auch viel mehr ein (im Durchschnitt jedoch leichenarmer) Giallo (italienischer Kriminalfilm) als ein „echter“ oder ein irgendwie-Wallace.

Der Film ist bis heute gerade in Deutschland stark unterschätzt und durch den mangelnden Erfolg bis heute auch etwas übersehen. Dabei gereicht gerade das „Moderne“ dem Film zum Vorteil, auch, wenn der „gute alte“ Gruselkrimi-Touch verloren gegangen ist. Der Versuch, einen (düsteren) Psychothriller damals neueren Formats hinzubekommen, und die ästhetische Vermischung mit Elementen des italienischen Kriminalfilms sind ungewohnt für einen Wallace-Film, aber in grossen Teilen gelungen. Dies ist neben der (geradezu italotypischen) Art der Inszenierung (dazu zählt auch, daß der Zuschauer immer mehr weiss, als die Polizei) auch der Arbeit von Kameramann D’Amato, später vor allem als Giallo- und Splatterregisseur bekannt geworden, und der gegenüber den „alten“ Wallace-Filmen ebenfalls „auf neueren Stand gebrachten“ Musik von Meister Morricone (die hier und da allerdings etwas zu kitschig geraten ist) zu verdanken.
Und ja, das „funktioniert“
auch in der kürzeren Version für den deutschen Markt, in dieser wurden besonders explizite Gewaltszenen (man sieht unter anderem mehr davon, wie der Mörder sein Messer in die Vaginas der Opfer "einführt") herausgeschnitten, die man dem deutschen Zuschauer wohl nicht „zumuten“ wollte (die aber doch noch weit von richtigem „Splatter“ entfernt sind).
Kurz hintereinander werden in London zwei Mädchen brutal ermordet und jeweils als einziges Indiz eine grüne Stecknadel vorgefunden. Die Mädchen waren Schülerinnen des gleichen, streng und „moralisch einwandfrei“ geführten Internats und (wie sich spät herausstellt, aber ohnehin nicht wirklich von Belang ist) Mitglieder einer eingeschworenen Clique, deren Erkennungszeichen eben jene grüne Stecknadel ist.
Erst mit der Hilfe des zeitweise
(vom Inspektor, aufgrund unseres Wissensvorsprungs nicht von uns) verdächtigten Lehrers Rosseni (dessen Geliebte Elizabeth den ersten Mord beobachtet hatte, und als Zeugin später auch sterben musste) und seiner Frau kann es dem ermittelnden Inspektor Barth von Scotland Yard gelingen, dem Geheimnis der Mädchenclique und damit dem Mörder auf die Spur zu kommen. Er kann das schreckliche (moralisch nicht einwandfreie) und traurige Schicksal des Mädchens Solange aufdecken, das untrennbar verbunden ist mit den aktuellen Morden…


Nicht nur der Genreerfahrene ahnt spätestens anhand des italienischen Titels, was hier eine grosse Rolle spielt und der Schlüssel zur Lösung sein wird (in der deutschen Fassung wird schon nach wenigen Minuten unter den Mädchen von der „Sache von damals“ getuschelt, für den Filmtitel bevorzugte man dann aber hierzulande doch etwas Wallace-“old-School-typischeres“), doch kann der Film (auch trotz einer zu langen Beerdigungs- und einer zu langen Sexszenerie) fesseln und hält sein Spannungslevel zumindest sehr lange hoch, was ihn zu einem der besten der Spätphase der Reihe macht. Erst kurz vor dem Ende flacht der Film etwas ab, und es passiert, was oft bei Giallos zu bemängeln ist- es geht plötzlich einfach alles zu hopplahopp und nicht unbedingt immer absolut nachvollziehbar von Statten, was bei diesem Film in Deutschland durch die Kürzungen noch mehr ins Gewicht fällt.

Wohl auch der Zeit geschuldet, treten hier (unnötigerweise) zum einzigen Mal in Menge (zuvor war es nur Ingrid Steeger in „Die Tote aus der Themse“ gewesen) in einem Wallace auch barbusige Frauen auf und selbst Schamhaar ist ansatzweise zu erkennen- die Schamgrenze (auch im Film) war „dank“ Werken wie dem „Schulmädchenreport“ gesunken. Gleichzeitig wird hier aber auch „Moralhütern“ ein (kleiner, aber immerhin) Spiegel vorgehalten, und eine (ebenfalls Giallo-typische) Kritik an der katholischen Kirche schimmert durch. Beim Anschauen denkt man unwillkürlich, daß die bis heute gültige FSK 16 in Deutschland vor allem diesen Szenen und etwa der im Film angesprochenen Thematik von „Sexparties“, und nicht etwaig gezeigter Brutalität geschuldet war.
Joachim Fuchsberger spielt in seinem dreizehnten und letzten Film der Reihe gewohnt den souveränen Polizisten, auch, wenn man ihm eine gewisse Müdigkeit an seinem stets ähnlichen Charakter in der Filmreihe anzumerken scheint. Selten hat man ihn fast gelangweilt Dialoge runterzitieren hören, so wie er es in diesem Film tut- sein Auftritt gegenüber den Eltern eines der Opfer ist gar an Unverschämtheit kaum noch zu über- und an Gefühlslosigkeit kaum noch zu unterbieten.
Günther Stoll, der eigentlich, als Fuchsberger wohl noch gezögert hatte, die erste Hauptrolle des Inspektors hatte spielen sollen (wie bereits in „
Der Bucklige von Soho“, 1966), einer der besten deutschen Schauspieler aus der „zweiten Reihe“ seiner Generation, spielt da schon durchgehend überzeugender, inklusive seiner Mutmassungen über den Fall, die ein Polizist kaum besser schildern könnte. Stoll, in vielen Filmen unter seinem Können eingesetzt, und schliesslich ab 1975 als „vierter Mann“ im Fernseh-„Derrick“ vollends im Hintergrund verschwunden, starb bereits 1977 im Alter von erst 52 Jahren an einem Herzinfarkt.
Fabio Testi reift im Film vom oberflächlichen Macho-Casanova zum Helden-Charakter, der, obwohl er sich mit seiner Frau aussöhnt, unbedingt den Mörder seiner Geliebten finden will; Karin Baal als seine Ehefrau ist in der weiblichen Hauptrolle zwar selbstbewusst, fast herrisch, bleibt aber dennoch blass und wirkt, bis auf die letzten Minuten, hier etwas fehl am Platze.
Überzeugen können hingegen die Nebendarsteller, voran sowohl Claudia Butenuth als auch Camille Keaton in ihren kleineren Rollen, letztere gar ohne eine Zeile Dialog, und Vittorio Fantoni mit einem schrägen Auftritt als Zeuge, der sich von Priestern verfolgt fühlt.


Fazit:
Wer nicht (nur) auf die älteren schwarz-weissen Wallace-Filme schwört, sondern einen ansehnlichen Thriller sehen möchte, kommt hier voll auf seine Kosten- das Finale allerdings kann die Qualität des Werks nicht halten.
Für die „damaligen“ Zuschauer in Deutschland war der Film wohl in mehrfacher Hinsicht zu gewagt und fortschrittlich, und mit Wallace hat das alles nichts mehr zu tun. Der von den Produzenten angegebene Roman gar liefert nur den Titel und die Stecknadel als Requisit, der Rest ist neu erdacht.

Darsteller:
Joachim Fuchsberger (als Inspektor Barth)
Karin Baal (als Herta Rosseni)
Fabio Testi (als Enrico Rosseni, ihr Mann) – Deutsch: Klaus Kindler,
Cristina (
hier: Christine) Galbó als Elizabeth, Enricos Geliebte – Deutsch: ?
Günther Stoll (als Professor Bascombe)
Claudia Butenuth (als Brenda Pilchard, Schülerin)
Rainer Penkert (als Schuldirektor Leach)
Giovanna Di Bernardo (als Helen, Schülerin) – Deutsch: Traudel Haas
Vittorio Fantoni (als Griggs, Enricos Vermieter) – Deutsch: Friedrich G.Beckhaus
Antonio Casale (als Lehrer Mr.Newton) – Deutsch: Hans Nitschke
Emilia Wolkowicz (
hier: Wolkowoch; als Ruth Holden) – Deutsch: Erna Haffner
Camille Keaton (als Solange) – Keine Sprechrolle
u.A.

Regie: Massimo Dallamano
Drehbuch: Peter M.Thouet, Massimo Dallamano, Bruno Di Geronimo
Nach Motiven aus dem Roman “Das Geheimnis der Stecknadel”/"The clue of the new pin“
von Edgar Wallace (1923)
Musik: Ennio Morricone
Kamera: Joe D’Amato (unter seinem richtigen Namen Aristide Massacessi)
Schnitt: Antonio Siciliano, zusätzlicher Schnitt für die deutsche Version: Clarissa Ambach
Ton: Peter Ruddis, Francesco Vernier
Art Direction: Gastone Carsetti
Kostüme: Elisa Gut
Make Up: Dante Trani
Produktionsleitung: Wolfgang Fritsche, Enrico Melonari
Co-Produktion: Fulvio Lucisano, Leonardo Pescarolo
Produktion: Horst Wendlandt
Siehe auch:
Die deutschen Edgar Wallace-Kriminalfilme von 1959-1972,
(Die in diesem Blog besprochenen Filme sind von dort aus verlinkt)



Spoiler:
Der Mörder ist Professor Bascombe- wie sich noch vor seiner Überführung herausstellt: Solange's Vater. Das Mädchen hatte mit ihrer „Stecknadel“-Clique an Sexparties teilgenommen und war schwanger geworden. Die anderen Mädchen hatten sie daraufhin zu einer illegalen Abtreibung gedrängt
(auch in der deutschen Fassung eine bedrückend-verstörend lange und schockierende Szene), deren schlampige Durchführung Solange hatte geistesgestört werden lassen. Ihr Vater nahm daraufhin für seine Tochter Rache.
Sein nächstes Opfer soll Brenda werden, die ausgerechnet Solange zu ihm in die Wohnung lockt. Gerade noch rechtzeitig
(und dank Zufällen zur rechten Zeit und einer ziemlich konstruierten Buch-Spur) kann Brenda gerettet werden, und Bascombe richtet sich selbst. Ende.
Bodycount (alle Morde von Professor Bascombe begangen):
- Schülerin Hilda
(der Mord wird von Elizabeth beobachtet) wird erstochen (Messer in Vagina)
- Schülerin Janet wird erstochen (Messer in Vagina)
- Elizabeth wird in ihrer Badewanne ertränkt
- Ruth Holden
(der Mord wird nicht gezeigt, die Leiche von Inspektor Barth entdeckt): die Frau, die die Abtreibung an Solange durchgeführt hatte
- Bascombe erschiesst sich am Ende selbst