(31) Veröffentlichung: 11.Juni 2019

DIE HERREN DRACULA
Frankreich, 1976 – 94 min. – FSK 12
Originaltitel: Dracula père et fils (=dt.: Dracula und sein Sohn)

Drehzeit: März/April 1976
Kinopremiere Frankreich: 15.September 1976; in D als Fernsehpremiere (ZDF) am 27.Januar 1979


Wir Gruselfilmfreunde kennen das ja schon zur Genüge, darunter nur allzu oft, wenn Christopher Lee, der Inbegriff des Film-„Dracula“ der Neunzehnhundertfünfziger bis -siebziger Jahre, involviert war, aber auch von so manch anderem Film (siehe zum Beispiel „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ von Mario Bava): Der Dracula, der uns im Titel suggeriert wird, der kommt im Film gar nicht vor, und manchmal noch nicht einmal ein echter Vampir. Im Gegensatz zu den meisten anderen „Fällen“, bei denen besonders in Deutschland so verfahren wurde (natürlich, um noch ein paar mehr Zuschauer „abzugreifen“), ist das bei diesem Film bereits beim Originaltitel geschehen, und dadurch dann auch in so gut wie allen anderen Ländern (englischsprachig zum Beispiel wurde der Film als „Dracula And Son“ vermarktet).
Christopher Lee spielt
hier zwar tatsächlich einen richtigen Vampir, jedoch allerdings einen nicht wie aus dem Bilderbuch des 08/15-Horrorkinos, er persifliert (nimmt sich selbst, auch in seiner bekannten Rolle, auf den Arm, man beachte nur die herrliche Gummipuppenszene und wie er sich im gesamten Film wie selbstverständlich als Vampir zu erkennen gibt, selbst beim Sargkauf mit seinem Sohn) und agiert mit einer (hier und da äusserst gelungen-arroganten, aber immer schwarzhumorigen) Selbstironie, daß man in Verzückung gerät und sich wünscht, diese Möglichkeit hätte man ihm schon vorher einmal geboten (die Ansätze dazu in „Dracula jagt Minimädchen“ von 1972 sind ja eher weniger konsequent). Nur deswegen hatte er die Rolle überhaupt angenommen, und eben auch, weil er im Film stets nur „Le Baron“/„Der Graf“ genannt wird, und auch sonst (vor allem auch optisch) wenig Ähnlichkeit mit seinen vorherigen Darstellungen des Dracula hat.
Es ist kein Geheimnis, daß Lee schliesslich empört war über den Titel, und über die Vermarktung, hatte er doch bewusst mit der Rolle des Dracula abgeschlossen und sie zwei Jahre zuvor in „
Dracula braucht frisches Blut“ zum neunten- und letztenmal gespielt (und das nur, weil er einen Vertrag mit Hammer zu erfüllen hatte). Aber die Mechanismen des Business, des um jeden Preis so viel wie möglich Geld verdienens, griffen dann hier voll zu und trotz anderslautender Zusagen gegenüber Christopher Lee entschlossen sich die Produzenten, dann doch titeltechnisch einen Dracula-Film daraus zu machen (was auch nicht im Sinne von Regisseur Molinaro war, der zwei Jahre später mit „Ein Käfig voller Narren“ seinen bei weitem grössten kommerziellen Erfolg feiern sollte).
Das ist schade, unsinnig, schlichtweg blöd- denn letztlich wird es Zuschauer geben, die enttäuscht sind, nicht das geboten zu bekommen, was sie anhand des Titels erwartet haben; und noch mehr wohl solche, die erst gar nicht hinsehen, weil sie denken mögen- nein, nicht schon wieder einer dieser üblichen Draculafilme.




Doch „üblich“ ist hier nichts- die Geschichte vom alleinerziehenden Vampirgrafen und seinem völlig aus der Art geschlagenen und tollpatschigen Papasöhnchen Ferdinand, den er einst mit einer Normalsterblichen gezeugt hatte, ist als eine von nur wenigen Horrorkomödien inszeniert, bei denen es (und zwar vorzüglich) geklappt hat, die zwei eigentlich völlig unterschiedlichen Genres zu verbinden- und das sowohl gleichzeitig in gemischten Sequenzen als auch getrennt voneinander und nacheinander. Wie es sonst wohl nur Polanski’s (kommerziell leider ungleich erfolgreicherer) „Tanz der Vampire“ schafft, gelingt dem Film der Spagat zwischen geradezu spielerisch leicht inszenierter Vampirgroteske und einem ernstzunehmenden Gruselfilm (als welcher er, ganz im Hammer-Stil, zunächst beginnt, um aber vor allem dank Ferdinand's Kinderstreichen schnell das erste Mal die Genregrenzen zu vermischen). Das Tempo ist phänomenal, und die Gags grossartig (selbst die nicht so „neuen“ sind aufgrund ihres exaktes Timings und der schauspielerischen Darbietungen zum Schreien komisch).
Nie verliert man den Faden in der Handlung. Es wird sich nicht unnötig aufgehalten oder in Nebensträngen verloren, und so ist die Vorgeschichte auf den Punkt gebracht und der Plot benötigt keine dreissig Minuten, um in der Gegenwart anzukommen.

Hier werden die beiden so ungleichen Blutsauger aus ihrer transsilvanischen Heimat vertrieben, und gelangen schliesslich über Umwege nach England (der Vater) beziehungsweise nach Frankreich (der Sohn). Während der Vater zum gefeierten Horrorfilmstar(!) wird, ergeht es Ferdinand mehr recht als schlecht, und da er nicht fähig ist, Menschen zu töten, muss er sich von Blutkonserven und Tierblut ernähren- und selbst darin zeigt er sich nicht besonders geschickt. Erst nach einiger Zeit treffen die beiden in Paris wieder aufeinander, und, wie es das Schicksal so will, verlieben sie sich in die gleiche Frau, Nicole, die zunächst mehr Interesse am „alten Herrn“ zeigt und diesen für eine Zahnpastawerbung gewinnen will. „Der Grafwill Nicole unbedingt zu einer der ihren machen, doch Ferdinand ist strikt dagegen, und als sich die Frau schliesslich für den jüngeren entscheidet, und dieser durch ihre Liebe gar zu einem „normalen“ Menschen wird, kommt es zu einem letzten Aufeinandertreffen von Vater und Sohn…
Ist zunächst das Ende mehr oder weniger wie aus einem „klassischen“ Vampirfilm (ausser, daß sich hier Christopher Lee’s Figur recht ungeschickt anstellt, und aufgrund seiner eigenen Schusseligkeit schliesslich den kürzeren zieht), so setzt der Film dann doch noch einen drauf, und ein kleiner Epilog beweist, daß die generationsübergreifende Vererbungslehre auch vor Vampiren nicht halt macht.

Neben Lee, der alle Register seines Könnens zieht und den Zuschauer von einer Sekunde auf die nächste lachen und wieder erschaudern lässt, gibt Bernard Menez einen köstlichen und mehr als un-gewöhnlichen Vampir. Hat er es anfangs schwer, sich abzunabeln und alleine klarzukommen, findet er dann doch seinen Weg, und wird spät erwachsen. Die Liebesgeschichte mit Nicole ist wunderbar romantisch erzählt, und auch seine (vom Charakter mit Freude begrüsste) Verwandlung zum „Normalo“ spielt Menez mit sichtbarem Spass. Marie-Hél
ène Breillat (deren echte Schwester Cathérine die am Filmanfang kurz auftauchende und sich aber schnell „im Sonnenaufgang auflösende“ Mutter von Ferdinand spielt, so daß deren Ähnlichkeit, die vor allem den „Grafen“ kirre macht, kein Zufall ist) macht ihre Sache als Nicole sehr gut- daß sie sich zunächst vom Vater angezogen fühlt, ist glaubwürdig, ihre schliessliche Entscheidung für Ferdinand jedoch ebenso.
Die anderen Darsteller bleiben neben der Leinwandpräsenz des tollen Blutsaugergespanns ziemlich
blass (und das, obwohl es eigentlich die Gesichtsfarbe der Vampire ist), aber das ist so auch schon im Drehbuch vorgesehen gewesen und liegt in der Natur der Handlung, die nicht die eines Ensemblefilms ist.

Bernard Menez


Marie-Hélène Breillat, Christopher Lee


Fazit:
Christopher Lee ist ein Ereignis und gibt sowohl als unwiderstehlicher Frauenschwarm und Gentleman als auch als (im wahrsten Sinne des Wortes) Ladykiller den originellsten und besten Vampir seiner Laufbahn. Allein schon deswegen (was er, trotz seiner Kritik am Titelgebaren, auch selbst so sah) lohnt sich das Werk.
Ein wenig seltsam erscheinen lediglich zwei-drei harte Schnitte am Ende (siehe Spoiler), die so auch in der Originalversion drin sind- da wird es etwas hektisch, und für den Zuschauer sogar schlecht nachvollziehbar- es wirkt, als würden Einstellungen fehlen (was auch wohl so ist).

Vladimir Cosma nimmt mit seiner Musik quasi (in den romantischen Szenen) schon seinen späteren "La Boum"-Soundtrack vorweg, beweist aber daß er auch dramatisches kann; die Ausstattung ist vor allem in den Hammer-Anleihen vom Feinsten.

Darsteller:
Christopher Lee als Der Graf (Original: Le Baron) – Deutsch: Klaus Miedel*
Bernard Menez als Ferdinand, sein Sohn – Deutsch: Uwe Paulsen
Marie-Hélène Breillat als Nicole Clement – Deutsch: Heidrun Kussin
Cathérine Breillat als Herminie Poitevin, Ferdinands Mutter – Deutsch: Heidrun Kussin

u.A.

* Toller Sprecher, zweifellos, und auch tolle Arbeit, aber leider ist seine Stimme doch eher unpassend zu Christopher Lee- wie schon 1965 in "Die Todeskarten des Dr.Schreck".

Christopher Lee spricht in der französischen Originalversion selbst in französischer Sprache (die er beherrschte) und musste dort nicht (nach-) synchronisiert werden;
in der englischsprachigen, auffallend umgeschnittenen und gekürzten (Länge: 78 min.) Version ist er jedoch nicht mit seiner eigenen Stimme zu hören, auch wurden die Dialoge allgemein sehr verspassigt. Die englischsprachige Version wurde nach ihrer Kinopremiere im Mai 1979 bis heute nicht offiziell auf Medien veröffentlicht.


Regie: Edouard Molinaro
Drehbuch: Alain Godard, Jean-Marie Poiré, Edouard Molinaro
Nach dem Roman “Der Vampir von Paris”/“Paris Vampire“ (1970) von Claude Klotz
Kamera: Alain Levant
Musik: Vladimir Cosma
Schnitt: Monique Isnardon, Robert Isnardon
Produktionsdesign: Jacques Bufnoir
Art Direction: Gérard Viard
Kostüme: Jacques Fonteray
Make Up: Jim Gillespie, Alex Archambault, Monique Archambault
Produktion: Alain Poiré


> Plakate GB/Italien

Spoiler:
Nachdem Nicole sich für Ferdinand „entschieden“ hat, und die beiden Sex miteinander hatten, erkennt Ferdinand, daß er „normal“ geworden ist- das Sonnenlicht kann ihm nichts mehr anhaben, und ein Spiegelbild hat er nun auch. Doch sein Vater will Nicole nicht aufgeben, und so kommt es in ihrem Beisein zu einem entscheidenden Kampf zwischen den beiden. Nicole, die noch immer nicht die Geschichte mit dem Vampirismus glauben mag, öffnet „genervt“ die Fenstervorhänge und die Strahlen der aufgehenden Sonne töten den Grafen und dieser zerfällt zu Staub...

Epilog:
Sechs Jahre später sind Ferdinand und Nicole ein glückliches Paar mit zwei Kindern, einem Mädchen und einem Jungen, von denen der Junge jedoch Vampirzähne hat und seine Schwester vielleicht mehr als nur ein kleines bisschen ärgern will... Ende.