(83) Veröffentlichung: 6.Dezember 2020

Niederlande, 2010 – 84 min.inklusive Abspann* – FSK 16
Originaltitel: Sint (Heiliger)

Drehzeit: Januar/Februar 2010
Kinopremiere Niederlande: 31.Oktober 2010
Keine Kinoauswertung in D, hier am 25.November 2011 erstmals als DVD veröffentlicht

Darsteller:
Huub Stapel als Sinterklaas – Keine Sprechrolle
Egbert Jan Weeber als Frank
Bert Luppes als Goert Hoekstra

Caro Lenssen als Lisa
Ben Ramakers als Van Dijk, Polizeibeamter
Escha Tanihatu als Sophie
Julian Maas als Timmie, ihr Bruder
Jaap Spijkers als Polizeichef
Barbara Sarafian als Frank's Mutter
Niels van den Berg als junger Goert (1968)
Jim Deddes als Sander, Freund von Frank
Joey van der Velden als Hanco, Freund von Frank
u.A.

Deutsche Synchronsprecher
N.A.

In der Vollmondnacht des 5.Dezember 1492 lehnen sich Bürger gegen das Schreckensregime des (gar nicht „guten“, sondern sie unterdrückenden und, wenn seine Forderungen nach Frauen, Sklaven und Gütern nicht erfüllt werden, brandschatzenden) Bischofs Niklas auf, und töten ihn und seine Mordgesellen. Doch ein Fluch besagt, daß sie als Untote fortan immer dann zurückkehren werden, wenn am 5.Dezember Vollmond ist- um sich immer wieder blutig zu rächen.
1968 ist so eine Nacht, und unter anderem wird die gesamte Familie des kleinen Goert ausgelöscht.
Amsterdam, Gegenwart. Es ist wieder Nikolaustag (den die Niederländer, anders als die meisten Länder der Welt, bereits am 5.Dezember begehen)- und Vollmond. Die Menschen, die der kirchlichen Geschichte vom „gnädigen und grosszügigen“ Nikolaus glauben, wollen fröhlich feiern und sich beschenken. Bis heute konnte „die Obrigkeit“ die Wahrheit geheim halten, und alle Morde der Vergangenheit vertuschen. Aber der inzwischen erwachsene Goert, zudem Polizist, der die Wahrheit über die Jahre herausgefunden hat, will das endlich ändern- doch warnt er vergebens. Die Feierlichkeiten beginnen- und so auch das Grauen. Der Sinterklaas
(die niederländische Bezeichnung des Nikolaus) und seine Gesellen, die
(in den Niederlanden die Helfer des Sinterklaas) „Zwarten Piets“ (Schön im Film erklärt- sie haben in der Wahrheit des Films nicht etwa schwarze Hautfarbe, sondern sind Schwarz, weil sie einst verbrannten) kommen, und das Massaker beginnt.
Goert weiss:
Nur, wenn um Punkt Mitternacht (da sich dann Niklas und alle seine Gesellen an Bord befinden) der Schoner der Untoten gesprengt wird, kann der Fluch beendet werden...


Denkt man an die Niederlande in Verbindung mit Horrorfilmen, kommt man nicht umhin, zwei Filme besonders zu erwähnen: „
Verfluchtes Amsterdam“ (1988), den Weltklassethriller mit dem so wunderbaren Originaltitel „Amsterdamned“, und das mitreissende Klaustrophobiedrama „Fahrstuhl des Grauens“ von 1983. Beides sind Filme von Dick Maas (der auch für die „Flodders“ verantwortlich zeichnete), der mit diesem Film hier zu seinen Horrorwurzeln zurückgekehrt ist.
Das
*netto gerade einmal 77 Minuten knackig-kurze, flüssig-furios erzählte (gekonnt durch bitterbös-pechschwarzen Humor aufgelockerte) auf-den-Punkt-Slashermeisterwerk, das aufgrund seiner Thematik und vor allem der offensiven Werbung in den Niederlanden einen kleinen Skandal hervorrief**, beweist erneut, daß Maas zu den besten seines Fachs, und das nicht nur in Europa, gehört. Maas hat den Slasher verstanden, er zelebriert den Horror, ohne die Geschichte aus den Augen zu lassen oder sich in allzu (und zu vielen oder ausgedehnten) expliziten Szenen zu verlieren, und er bezeugt seinen Respekt vor den „Grossen“ des Genres. Er zitiert (nicht klaut bei, das hat er gar nicht nötig) hier und da (so Carpenter's „The Fog“ und die spanische „Reiter“-Reihe), doch schafft dabei eigentändig-Individuelles. Zudem verzichtet er auf überflüssigen Schnickschnack (wie ausgedehnte Charakterzeichnungen, wenn diese Protagonisten ohnehin nicht lange „dabei“ bleiben).

Zwar gab es durchaus schon vorher (eher allerdings) Weihnachtsmänner als Böse im Film, und nutzt Maas durchaus uns bekannte „Bausteine“ aus dem Slasherfilm (wie Verhaltensweisen potentieller Opfer, die sich dämlicherweise selber in Gefahr begeben, anstatt noch rechtzeitig abzuhauen), doch geschieht das so charmant und grotesk auf die Sptzen getrieben, daß es dem hohen Niveau des Films in keiner Weise abträglich ist. Und daß er einer bis zu diesem Zeitpunkt scheinbaren Hauptfigur und potentiellen Heldin schon nach etwa einer halben Stunde den „Garaus“ machen lässt, stattdessen den bis dato unauffälligen und sogar eher unsympathischen Frank zum Mit-Retter der Menschen aufbaut, das ist geradezu frech, aber wunderbar und überraschend getwistet.

Maas kehrt den Sinterklaas und seine mit ihm verbundenen, tief im Volk verwurzelten Traditionen um, wenn er ihn (auch und gerade bereits zu dessen Lebzeiten) als zutiefst böse und brutal zeigt, als (ganz und gar unchristliches) Monster, das jeden tötete, der oder die ihm nicht gehorchten, und nun, wenn sein Jahrestag mit dem Vollmond zusammenfällt, aus Rache so viele Menschen wie möglich abschlachten will.
Der Film liefert uns eine kurze und kompakte, (wortlose) Vorgeschichte aus einem düsteren und schmutzigen Mittelalter (die trotz ihrer fünf Minuten schon genug Stoff für einen eigenen Film bietet); schildert dann in beeindruckend-beklemmenden Bildern (die trotz ihrer fünf Minuten schon genug Stoff für einen eigenen Film bieten), wie 1968 das Grauen zum vorerst letzten Mal zugeschlagen hatte, und wie doch die Wahrheit der Öffentlichkeit gegenüber immer verheimlicht wurde. Er nennt Staat und Kirche als Verantwortliche dafür, ohne näher darauf einzugehen, und ohne ein
Warum
deutlich zu machen- einzig das fehlt dem Film dann doch ein wenig.
Jetzt ist die Gegenwart, 5. Dezember, Vollmond, und obwohl mindestens Teile von Behörden und Kirche eben wissen müssen, was nun wieder geschehen kann und wird, lässt man die Menschen in ihr Unglück gehen. Die Menschen, die nur ausgelassen feiern wollen, die die Strassen bevölkern, lustig sind, ahnen nicht, was auf sie zukommt und stehen dem Horror unvorbereitet gegenüber. Der Sinterklaas und seine Gehilfen bringen ihnen statt Geschenken den massenhaften Tod und es scheint, als ob es keine Rettung gäbe, ausser der, daß der Tag und die Nacht endlich zu Ende gehen mögen.


Es bedarf nicht der allerschlimmsten Splatterszenen (und auch manch genauer und kompletter Tathergang wird nicht gezeigt,
siehe Bodycount), wenn auch besonders anfangs und zum Ende gerne heftig (und tricktechnisch versiert) zur Sache gegangen wird. Da fliegen schon mal Körperteile herum, so daß die FSK-Einstellung insgesamt etwas verwundert (man hat harmloseres mit FSK 18-Einstufung gesehen)- hat man etwa tatsächlich den an manchen Stellen gemein-satirischen Unterton des Werkes (das damit Gewalt nicht um des Selbstzweckes, sondern als Unterstreichung einsetzt) bemerkt und auch noch verstanden? Oder hat man es (auch) „belohnen“ wollen, daß, obwohl es nahegelegen hätte, der Film Gewaltszenen gegen Kinder völlig der Vorstellung des Zuschauers überlässt- wobei allein die Vorstellung, was mit ihnen geschieht, was der Nikolaus mit ihnen allen anstellt (und nicht nur mit denen, die "böse" waren), als Horror par excellence daherkommt.

Da musste ein so recht kleines Land wie die Niederlande mit seinen bescheidenen finanziellen Mitteln für Filmproduktionen daherkommen, und zeigen, wie man es macht. Von diesem Film können sich alle, wirklich alle, die sich Filmemacher (und das nicht nur im hier bedienten Genre) nennen, und auch Hollywood, mehr als eine Scheibe abschneiden. Mann kann es eben auch mit Talent und Begeisterung schaffen, und muss nicht immer Millionen und Abermillionen zur Verfügung haben, um einen eindrucksvollen und fesselnden Horrorfilm abzuliefern, der sich vor keiner Hochglanzproduktion verstecken muss.


Der vielseitige Huub Stapel (Stammschauspieler bei Regisseur Maas, über die Grenzen der Niederlande bekannt und auch oft in deutschen Filmen und Fernsehserien besetzt) gibt den Niklas (in perfekter Maske) furchteinflössend überzeugend, braucht dazu nicht einmal Worte. Nein, dieses Monster bekommt von uns keinerlei Sympathien, der macht uns viel zu viel Angst. Hier scheint einer, bis dato zumeist eher in den „guten“ Charakteren eingesetzt, sich hemmunslos
austoben zu dürfen und seine Paraderolle gefunden zu haben. Auch die ansonsten zumeist unbekannten Akteure verstehen ihr Fach. Bert Luppes als Polizist Goert, der in seiner Rolle 1968 als Kind das Massaker miterlebt hatte, und bis zu den aktuellen Geschehnissen darunter leidet, kann sich ein bisschen in den Vordergrund spielen und nutzt damit, was ihm die Rolle anbietet. Zwar ist er kein Held wie aus dem Bilderbuch, viel zu gebrochen und verzweifelt ist sein Charakter, doch als letzte Hoffnung auf ein gutes Ende zittern wir stets mit ihm mit. Es passt zum Film, daß ihm kein Happy End vergönnt sein wird und Frank seine „Arbeit“ vollenden wird müssen.

Fazit:

Was ein rundum gelungener Horrorfilm mit optimalem Spannungsbogen und perfekt getimten Erschreckungsszenen, den man sich
alle Jahre wieder gönnen sollte- danach ist der herkömmliche Nikolaustag allerdings für alle Zeiten gelaufen.
Des Regisseur's Musik ist abwechslungsreich, teils gewagt, jedoch stets richtig; der Schnitt flott, aber nie irritierend schnell; die Kameraführung ein Vergnügen und für Horrorfilme originell.
Und was immer passiert- dagegen kann kein Hollywoodremake (welches man wohl immer noch befürchten muss) auch nur ansatzweise anstinken.


Stab:
Regie, Drehbuch und Musik: Dick Maas
Mitarbeit am Drehbuch: Wijo Kock
Kamera: Guido Van Gennep
Schnitt: Bert Rijkelijkhuizen
Produktionsdesign: Wilbert Van Dorp
Art Direction: Maarten Piersma
Szenenbild: Barbara Westra
Kostüme: Alette Kraan
Make Up: Carolina Leenders
Make Up-Effekte: Erik Hillenbrink, Rob Hillenbrink
Spezialeffekte (Regie): Harry Wiessenhaan
Visuelle Effekte (Regie): Kasper Oerlemans
Visuelle Effekte (Regieassistenz): Willem Zwarthoed
Regieassistenz: Annemarie van de Mond
Line Producer: Gerrit Martijn
Produktionsleitung: Remco van de Kant
Produktion: Tom De Mol, Dick Maas

** Im Ursprungsland wurde der Film nicht als jugendfrei eingestuft, doch stiess ein Filmplakat auf besonderes Missfallen. Das verstümmelte Gesicht und der Blick der Hauptfigur gab vielen, besonders Eltern, Grund zu der Befürchtung, daß es Kinder verstören könnte. Das Gericht, das über ein Verbot der öffentlichen Werbung für den Film zu entscheiden hatte, folgte aber Regisseur Maas’ Argument, daß, wenn die Eltern „ihre Kinder glauben liessen, daß Sinterklaas existiere“, sie sie auch informieren könnten, daß „der Mann auf dem Plakat nicht der wirkliche Sinterklaas“ ist.
Das Filmplakat erhielt schliesslich den renommierten niederländischen Publikumspreis „TV Krant Filmposter Award 2011“ als bestes Filmplakat des Jahres 2010.

Spoiler:
Nur mit Hilfe des lange als Mörder verdächtigten Studenten Frank, den Goert über die Wahrheit informiert, und trotz „Behinderungen“ durch die lange skeptischen Polizeikräfte gelingt es Goert, das Schiff der Bösen in letzter Sekunde in die Luft zu jagen. Der Nikolaustag ist vorbei.

Epilog:
Die „Honoratioren“ der Stadt kommen am „Morgen danach“ überein, aus der Anzahl der Toten eine (Zitat) „angenehmere Anzahl zu machen“. Die meisten Morde werden vertuscht, so sind die 35 Kinder aus dem Krankenhaus (siehe Bodycount) angeblich bei einem Brand ums Leben gekommen. Für einige Tote wird der tote Goert (siehe Bodycount; der wegen seiner Kindheitserlebnisse durchgedreht sein soll) als Massenmörder verantwortlich gemacht.
Frank bekommt von Van Dijk einen Scheck über 50.000 Euro, auf daß er über die Wahrheit schweige.

Die Kamera schwenkt zu einem Kirchturm, auf dem ganz oben der Sinterklaas steht (
der ja wegen der Explosion des Schiffes „eigentlich“ tot sein müsste, und „dessen Tag“ ja bereits vorbei ist). In der letzten Szene blickt dieser böse in die Kamera. Ende.

Weitere Logikfehler:
- Es bleibt unerklärt, warum die katholische Kirche ausgerechnet (trotz des Wissen um die tatsächlichen Umstände seines Lebens) den Bischof Niklas zum Heiligen machte und den Nikolaustag „kreierte“.
- Der Ursprung des Fluchs wird nicht erwähnt, er existiert einfach.
- Es bleibt unerklärt, wie die
alle paar Jahre wieder am 5.Dezember geschehenen Morde der Öffentlichkeit verheimlicht werden konnten (und durch wen genau, die „Obrigkeit“ bleibt diffus). Solche regelmässigen, wie auch immer im Nachhinein dargestellten „Vorfälle“ würden wohl „normalerweise“ irgendwann auch der breiten Masse auffallen.
- Die erwähnten „alle 32 Jahre Nikolaustagsvollmond“ passen nicht in den Handlungsablauf.
Aber: Definitiv Schwamm drüber- es ist und bleibt ein Film, wenn er so gut ist, darf er das.

(Im Film gezeigter) Bodycount (siehe Text bezüglich der Tatabläufe):
1492:
-
Niklas und seine Horde töten diverse Dorfbewohner
- Die Dorfbewohner töten drei der bösen Gesellen (Pfeil in den Rücken; Axt in den Kopf; Spaten in das Gesicht) und setzen Niklas' Schiff mit allen Bösen an Bord in Brand
1968:
- Goerts' gesamte Familie (Vater. Mutter, zwei Schwestern, ein Bruder) wird von den Bösen getötet
Gegenwart:
- Zwei Wasserschutzpolizisten sterben, als ihr Boot vom Schoner der Bösen gerammt wird (Später wird erwähnt, daß auch ein weiteres Boot der Polizei von den Bösen versenkt wurde)
- Sophie hängt kopfüber tot in ihrem Kamin; ihr kleiner Bruder Timmie ist verschwunden (später wird deutlich, daß auch er getötet wurde)
- Sander und Hanco werden getötet (erstochen und geköpft)
- Frank tötet im Kampf mehrere der bösen Gesellen (er ersticht Zwei; „halbiert“ einen mit einem Speer, der sich in seinem Auto verfangen hat; schiebt mit seinem Auto einen an einen Stromkasten- der Geselle verbrennt; und überfährt und zerquetscht mindestens Zwei weitere mit dem Auto)
- Ein Arzt und eine Kinderkrankenschwester werden im Krankenhaus getötet (Mit den Kindern verhält es sich wie mit Timmie,
siehe oben und Epilog)
- Zwei Polizisten sterben in ihrem Wagen, als das Pferd des Nikolaus auf den Wagen stürzt (das Pferd bleibt unverletzt)
Im Finale:
- Mindestens fünf Polizisten werden von den Gesellen und Sinterklaas (der bei einem seinen Stab als Köpfungsinstrument be-nutzt) hingemetzelt, doch deutet der Handlungsablauf darauf hin, daß auch ein grosser Teil der ersten Einheit der Spezialpolizei getötet wurde
- Goert stirbt an einem Speerstich
- Das Schiff mit allen Bösen an Bord explodiert


Im Epilog zwischen Bürgermeister und Polizeichef wird die Gesamtsumme der an dem Tag Getöteten mit „cirka“ 300 erwähnt, was „um einige mehr“ sein sollen als an den vorhergegangenen Horror-Nikolaustagen (aber übrigens vorherigen Aussagen über vorherige Opferzahlen widerspricht).