(98) Veröffentlichung: 29.Mai 2021

D, 1963 – 94 min. – FSK 12 (Seit Neubewertung der DVD-VÖ/bis 2006: FSK 16)
In Schwarz/Weiss

Drehzeit: 2.September-8.Oktober 1963 in Berlin sowie Aussenaufnahmen ohne Darsteller in London
Kinopremiere D: 22.November 1963

Darsteller:
Hansjörg Felmy als Inspektor John Hillier
Maria Perschy als Ann Barry, seine Freundin
Dieter Borsche als Dr.Mac Ferguson, ein wahnsinniger Wissenschaftler
Wolfgang Preiss als Chefinspektor Morel Smith
Harry Riebauer als Dr.Philip Trooper, Gerichtsmediziner und Freund Hillier's
Chris Howland als Cabby Pennypacker, Zeitungsreporter
Rudolf Forster als Sir Francis Barry, pensionierter Richter und Ann's Vater
Rudolf Fernau als Jerome, sein Butler
Alexander Engel als Bauunternehmer, Opfer Nummer 3 der Kuttenträger
Albert Bessler als Francois Breant,
Opfer Nummer 4 der Kuttenträger
Stanislav Ledinek als Jimmy Brown,  der von den Kuttenträgern eine Gnadenfrist erhält
Narziss Sokatscheff als "Messerjoe" (Stimme: Michael Chevalier), einer der Kuttenträger
Harald Sawade als Familienmörder,
Opfer Nummer 5 der Kuttenträger
Bruno W.Pantel als Schausteller, Günter Glaser als Museumsdirektor u.A.
Stimme des Henkers (nicht Darsteller): Heinz Petruo

Ein „Geheimgericht“ von Kuttenträgern unter der Führung des „Henkers von London“ übt Selbstjustiz an Verbrechern, die bis dahin ihrer Strafe entkommen sind- die Schurken werden verschleppt, in einer unheimlichen Totenkutsche in Särgen transportiert, nach ihrer „Verhandlung“ (mit einem immer wieder erneut aus dem Scotland Yard-Museum gestohlenen, historischen Galgenstrick) aufgeknüpft und an öffentlichen Plätzen „zur Schau gestellt“.
Der ermittelnde Inspektor Hillier, dessen Schwester kurz zuvor von einem Frauen köpfenden Serienmörder, der London zur gleichen Zeit ebenfalls unsicher macht, getötet wurde, steht unter grossem Druck durch seinen Chef Smith. Auch ist er genervt vom Journalisten Pennypacker, der ungebeten immer in seiner und der Nähe der Leichenfunde auftaucht und stets gut informiert ist.
Doch ausgerechnet Pennypacker gibt einen Hinweis auf die nächste „Verhandlung“ der Verschwörer, die von der Polizei gestürmt wird. Der Ganove(!) „Messerjoe“ wird dabei getötet und gilt der Polizei als nun überführter „Henker“. Hillier konzentriert sich wieder ganz auf den Frauenmörderfall, denn der brutale Serientäter gibt keine Ruhe
(und wird uns Zuschauern bereits und ohne Umschweife als Dr.Mac Ferguson vorgestellt, ein irrer Wissenschaftler, der mit der Transplantation von Köpfen auf andere Körper experimentiert). Doch dem nicht genug, denn es stellt sich heraus, daß der „Henker“ sehr wohl ebenfalls noch lebt und mit seinen Kumpanen weiter tätig ist...

Mit einer überlauten (musikalischen) Fanfare eröffnet ein (schlichtweg hervorragender und im besten Sinne doppelter) Gruselkrimi vorgeblich von Bryan Edgar Wallace, der mit einem (inhaltlichen) Paukenschlag enden wird und der mit (von den Durchführenden geradezu professionell zelebrierter) Selbstjustiz und einem Serienfrauenköpfer (in dem Film fällt sogar das Wort „Sexualmord“) direkt zwei Themen behandelt, von denen zumindest das zweite (und schon gar nicht so offensiv) nicht zu den häufig genutzten der Wallace-Reihe(n) gehörte. Was kurz (und fast exakt zur Filmmitte) so wirkt, als hätte das Drehbuch nicht genug Potential gehabt, mit nur einer der beiden Handlungsstränge einen ganzen Film zu füllen (und ebenso kurz beim Übergang etwas irritiert), wird schnell zur spannenden (später sogar geschickt miteinander verwobenen) Kombination, pusht den Film noch einmal zusätzlich und macht ihn letztlich so stark, wie er dann nun einmal in Gänze ist.

Zwar hat das alles wohl mit Wallace (mal wieder) so gut wie nichts zu tun (und wenn, dann sogar eher mit Vater Edgar als mit seinem Sohn Bryan Edgar, der sich in seinen Romanen und Geschichten eher im Agentenkrimibereich bewegte), mag das auch noch so suggeriert werden- aber wen störts!? Das Drehbuch ist fehlerlos stringent verfasst. Das Publikum, so oder so damals im Wallacefieber, war auch vom sechsten (Wallace-)Genrefilm des Jahres begeistert, Produzent Brauner, der erst im Jahr zuvor begonnen hatte, (auch) den Namen Wallace für seine Epigonen zur erfolgreichen Edgar Wallace-Reihe zu nutzen (und sich auch direkt das Recht gesichert hatte, nur den Namen für von anderen neu erdachte Geschichten zu verwenden) konnte hier trotz der starken Rialto/Horst Wendlandt-Konkurrenz auch kommerziell punkten (sogar mit der englischsprachigen Fassung). Der Kuchen war halt damals gross genug, daß alle ihr Stück abbekamen.

Der dritte Bryan Edgar insgesamt geht bei aller Treue zum grundsätzlichen Stil der Reihe (der Mischung aus Krimi und Grusel) einige neue Wege, Nicht nur, daß weniger Spuren gelegt werden als bis dato überwiegend üblich und nicht nur, daß weniger Verdächtige auf der Bildfläche erscheinen (der eine wird ja sogar umgehend auf dem Silbertablett präsentiert, inklusive seines perversen Motivs)- wenn, dann geschieht es nicht mit der Holzhammermethode, sondern fast unauffällig nebenbei, meist mal so eben am Rande. Man muss schon genau hinschaun (und -hören), um es mitzubekommen. Der Film fesselt, ohne daß wir immer mitraten (müssen).
Selbst beim originellen, längeren Gegenschnitt-Hin und her zwischen einer Kuttenträger-Verhandlung und einer vom Ex-Richter Barry mit seinem Butler „gespielten“ Gerichtsverhandlung (wie ersterer sie einst einmal geführt hatte) wird schnell klar, daß das ein wirklich gelungener „Gag“ ist- miteinander zu tun haben die beiden Geschehnisse nämlich nichts.

Hinzu kommt, daß für beide Täter(gruppen) Mitgefühl oder Sympathie nicht angesagt ist. Beim ein oder anderen Wallace beschleicht uns diese bei der Auflösung, hier ist es kein Thema. Beim Frauenmörder nicht, bei dem es ja auch nichts „aufzulösen“ gibt, und bei den Verschwörern ebenfalls und schon gar nicht- Mac Ferguson mag ja noch als „verrückt“ beziehungsweise unzurechenbar gelten, aber die Kuttengang weiss genau, was sie da tut, und tut es ganz bewusst. Dem Film gelingt es, ihr Handeln als komplett falsch darzustellen- und unfair, denn ihr „Urteil“ steht ohenhin schon davor fest. Mit (nachträglicher) Gerechtigkeit hat das nichts zu tun, sie morden genau wie ihre Opfer, eiskalt und geplant. Auch ohne erhobenen Zeigefinger ist erkennbar, daß Selbsjustiz und Todesstrafe hier weder begrüsst noch verharmlost werden (was auch mit der Darstellung des ehemaligen Richters Barry gelingt, der sich gern mit seinen "harten" Urteilen aus der Vergangenheit brüstet). Das muss man auch erst einmal in so einen Film unterbringen, ohne daß es zu Lasten der Spannung (und Unterhaltung) geht.

Hansjörg Felmy gibt (quasi als eine Art Blaupause für seine noch folgenden Wallace-Auftritte, nur das er da zumeist solo und Frauenschwarm sein würde) den zielstrebig-ehrgeizigen Polizisten cool und glaubhaft und gewohnt herausragend. Hillier ist dabei nicht so mürrisch und akribisch wie Felmy Jahre später als legendärer „Tatort“-Kommissar Haferkamp, sondern forsch und impulsiv. Selbst seine Freundin vernachlässigt er für den Job, will er doch auch endlich den Mörder seiner Schwester finden- wofür er Ann wenig widerstrebend sogar als Lockvogel agieren lässt.
Achtung, verräterischer Satz zur Handlung: Daß er ein Geheimnis mit sich herum trägt, merkt man ihm nie an und wird den Film schliesslich fulminant enden lassen.
Maria Perschy hat lange die undankbare Rolle der irgendwie „Alibifrau“ im Film, so richtig „gebraucht“ wird sie erst spät- und ist auch dann eher nur die Schwache, die auf Hilfe warten muss. Ein recht undankbarer Part.
Dieter Borsche ist (mal wieder) ein toller Bösewicht gelungen, der sogar (mit Ausnahme zweier durchs-Bild-Huscher) als solcher mit seinem Auftritt (erst in der zweiten Filmhälfte) sofort ersichtlich ist. Als von sich und seinen Plänen überzeugter „Mad Scientist“ mit Kopfverpflanzungsphantasien (und entsprechenden Frankenstein'schen Operationserfahrungen) ist er eine widerliche Wonne, sein (pseudo-)wissenschaftlicher Erklärungsmonolog ein besonderes mimisches Glanzstück.
Wolfgang Preiss als aufbrausend-lauter und gerne besserwisserischer Oberinspektor glänzt in jeder seiner Szenen, er trägt zwar nichts zur Falllösung bei, verzichtet dann aber wenigstens auf den Ruhm dafür. Daß er, einer der besten Schauspieler seiner Generation, nie in einem
Edgar Wallace-Film auftrat, verwundert bis heute, es blieb im Genre bei diesem Epigonen und den „Dr.Mabuse“-Streifen.
Chris Howland (hier mit auffällig zurückhaltendem Dialekt, was sollte aber auch ein Deutschradebrechender Engländer in London?) gelingt ein überzeugender Journalist und Verwandlungskünstler (unter anderem ist er als Wachsfigur, Nachtclubsänger, und sogar als blondhaariges Mädel zu sehen), der sich Hillier ungefragt immer wieder als Helfer aufdrängt. Er vermeidet dabei gekonnt, zur Lachnummer zu werden und ist weit davon entfernt, den Eddi Arent-Part aus den Edgar Wallace-Filmen zu imitieren.
Achtung, verräterischer Satz zur Handlung: Die „Überraschung am Ende“ hat sich sein Charakter wirklich redlich verdient.
Der heute leider fast vergessene, doch wieder mal auch in der kleinen Rolle gern gesehene Harry Riebauer schliesslich ist Hillier's loyaler Freund und als Gerichtsmediziner auch Helfer. Daß er allerdings Ann trösten muss, wenn Hillier sie mal wieder allein lässt, scheint ihn (offensichtlich) nicht zu stören.
Und die Rudolf's Forster und Fernau sind ein geradezu kongeniales „Paar“, sowohl als mit dem „Henker“ sympathisierender Ex-Richer und sein kauziger Butler, als auch, wenn sie alte Verhandlungen Barry's nachspielen (im Falle Jerome's: das widerwillig-gehorsam muss).

Die Ausstattung des Films ist sozusagen übersichtlich, viel passiert draussen (an allerdings interessanten Locations) oder in Kellern und Gewölben. Auffällig ist da besonders nur Mac Ferguson's Haus (inklusive Kunstsammlung und Geheimtür im Boden) und sein Labor mit den abgefahrenen Apparaturen. Kamera und Schnitt sind recht ruhig und mit längeren Einstellungen gehalten, der Film hat allerdings auch keinerlei Hektik nötig, im Gegenteil. Einziger echter Kritikpunkt am Film ist die misslungene Musik (inklusive Chris Howland's Schlagereinlage)- sie ist falsch eingesetzt und meist zu theatralisch, um Spannung aufzubauen oder zu unterstreichen.
Erwähnenswert sei noch, daß sowohl Bild als auch Ton wie frisch gedreht wirken, ohne unnötigen Dunkelstich oder Schnarren- auch das macht den Film zu einem Vergnügen der besonderen Art.

Fazit:
Grandioser Zwei-Gruselkrimistories-in-einem-Film ohne Schnickschnack: nicht nur der wohl beste
Bryan Edgar in Schwarz/Weiss, auch einer der besten Wallace-Filme überhaupt. Die Zusammenführung der beiden Handlungsstränge gelingt und das Ende wird zum vielleicht überraschendsten und unerwartetesten in den Reihen ever.

Stab:
Regie: Edwin Zbonek
Drehbuch: Robert A.Stemmle
Laut Vorspann: Nach einer Idee von Bryan Edgar Wallace
Laut Pressematerial: Basierend auf dessen Roman „George und Jojo“ (Originaltitel: „The White Carpet“) von 1963. Laut verlässlichen Quellen (ich selber habe den Roman nicht gelesen) kann allerdings, wenn überhaupt, wohl höchstens von ein wenig Motiv(be)nutzung die Rede sein.
Kamera: Richard Angst
Musik: Raimund Rosenberger
Schnitt: Walter Wischniewsky
Ton: Erwin Schänzle
Bauten: Hans Jürgen Kiebach, Ernst Schomer
Kostüme: Trude Ulrich
Maske: Ruth Mohr, Heinz Stamm
Regieassistenz: Gisela Anton
Aufnahmeleitung: Manfred Korytowski, Felix Siebenrogg
Produktionsleitung: Heinz Götze
Herstellungsleitung: Heinz Willeg
Gesamtleitung/Produktion: Artur Brauner (CCC Film)

Spoiler:
Ann stellt sich schliesslich als Lockvogel für den Frauenmörder zur Verfügung, Zwar wird sie auf dem Rummelplatz tatsächlich von Mac Ferguson angesprochen, doch der kann der Beobachtung Ann's durch die Beamten entkommen und sie entführen. Er will an ihr einen weiteren Versuch einer Kopftransplantation unternehmen, Dank eines Zettels, den Ann aus dem Fenster werfen kann und der glücklicherweise auch in die Hände der Polizei gerät, kann man sie in letzter Sekunde retten und Mac Ferguson festnehmen (Fotos hierunter).

Nun führt der Film die zwei Handlungsstränge zusammen
, und Mac Ferguson landet nach seiner Entführung aus dem Polizeigewahrsam vor dem Gericht der Kuttenträger, die auch ihn natürlich zum Tode verurteilen. Doch Pennypacker führt die Polizei zum Ort des Geschehens (wobei nicht erklärt wird, woher er diesen kennt)- bei dem Einsatz wird Mac Ferguson erschossen. Der „Henker“ flieht und wird dabei von einem Zug erfasst und getötet- hinter der Maske verbarg sich Inspektor Hillier (Fotos hierunter), der nach dem Tod seiner Schwester so selbst zum mehrfachen Mörder wurde. Die weiteren Kuttenträger sind ebenfalls Angehörige von Verbrechensopfern. Hillier's Chef Smith begründet der Presse gegenüber dessen Verhalten mit Hillier's „krankhaft gesteigertem Gerechtigkeitsempfinden“, und lüftet zugleich Pennypackers Geheimnis- dieser heisst in Wahrheit Tom Jenkins, ist Geheimagent und gilt nun als der Mann, der dem „Henker“ das Handwerk legte.
Kleiner Epilog: Trooper und Ann gehen, von ihrem Vater und Jerome beobachtet, gemeinsam davon, ob es ein Happy End für die beiden gibt, bleibt aber offen.
Ende.

Annahme zu Gunsten des Films:

Auch, wenn es nicht zur Sprache kommt, war Jenkins wohl anonym in den Fall involviert worden, weil Scotland Yard den „Henker“ (das wird im Film vorher mehrfach thematisiert) bereits in den eigenen Reihen vermutet hatte, unter anderem wegen des mehrfachen Diebstahls des Galgenstricks aus dem Museum des Yards beziehungsweise aus Smith' Büro und der Aktenkenntnis der Verschwörer. Ansonsten hätte es wohl auch keinen Sinn gehabt (wäre es ein Logikfehler), daß Pennypacker eben ein anderer ist, als er den Beamten und anderen gegenüber zuvor behauptete und es erklärt auch sein stets grosses Wissen.

Bodycount:

- Ein Bauunternehmer, der durch Schlamperei am Bau den Tod vieler Unschuldiger verursachte, wird von den Kuttenträgern zum Tode verurteilt und an einer Brücke erhängt. Es wird erwähnt, daß er bereits das dritte Opfer des „Henkers von London“ ist.
- Francois Breant, der unter anderem seinen Bruder ermordete, um an das Geld aus dessen Lebensversicherung zu gelangen, wird von den Kuttenträgern zum Tode verurteilt und (
Noch ein grossartiger "Gag": an einer Plakatwerbewand eben dieser Versicherung) erhängt.
- „Messerjoe“ wird als Kuttenträger entlarvt und von der Polizei erschossen. Dennoch gerät er nur kurz in den Verdacht, auch der Boss der Verschwörer zu sein.
- Das fünfte Opfer von Frauenmörder Dr.Mac Ferguson wird aufgefunden.
- Der Familienmörder wird das fünfte Opfer der Kuttenträger.
- Mac Ferguson (
siehe Spoiler).
- Der „Henker“/Inspektor Hillier (
siehe Spoiler).