(96) Veröffentlichung: 27:April 2021

USA, 1977 – Kinofassung: 92 min. – FSK 18 (Ungeschnitten)
Originaltitel: The Sentinel (Der Wächter)

Drehzeit: 21.Mai-22.Juli 1976 in New York City/USA
Kinopremieren: USA- 7.Januar 1977; D- 12.Mai 1977

Darsteller:
Cristina Raines als Alison Parker – Deutsch: Cornelia Meinhardt
Chris Sarandon als Michael Lerman, ihr Freund – Deutsch: Randolf Kronberg
Arthur Kennedy als Monsignore Franchino – Deutsch: Wolfgang Lukschy
Burgess Meredith als Charles Chazen, „Hausbewohner“ – Deutsch: Friedrich W.Bauschulte
Ava Gardner als Miss Logan, Maklerin – Deutsch: Bettina Schön
Eli Wallach als Policedetective Garz – Deutsch: Klaus Miedel
John Carradine als Father Halliran – Keine Sprechrolle
Martin Balsam als Professor Ruzinsky – Deutsch: Martin Hirthe
José Ferrer als Kardinal – Deutsch: Wolfgang Lukschy
Deborah Raffin als Jennifer, Freundin von Alison – Deutsch: Beate Menner
Sylvia Miles als Gerda, „Hausbewohnerin“ – Deutsch: ?
Beverly D'Angelo als Sandra, ihre Freundin – Keine Sprechrolle
Christopher Walken als Policedetective Rizzo – Deutsch: ?
Jeff Goldblum als Fotograf Jack, Jerry Orbach als Filmregisseur,
Hank Garrett als Privatdetektiv Brenner, Robert Gerringer als Polizeichef,
Nana Tucker (=Nana Visitor) und Tom Berenger als Die Wohnung besichtigendes Paar am Filmende
u.A.
Cameoauftritt: Richard Dreyfuss (Minute 7)

Anmerkung:
Der deutsche Titel ist völliger Unsinn- um Hexen geht’s hier überhaupt nicht. Da war den Zuständigen wohl „Der Wächter“ als exakte Titelübersetzung zu langweilig. Oder wollte man mit dem Titel nicht zu viel vom Plot verraten? Nun, dann hätte man auch die Werbesprüche nicht exakt übersetzen dürfen- die verraten nämlich auch manches.

Inhalt:
Prolog: Norditalien. In einer Kirche kommen mehrere Priester zusammen, Monsignore Franchino spricht ihre Sorge aus: „Es droht Gefahr!“.

New York City. Beobachtet von Franchino, bezieht das Fotomodell Alison (Wir erfahren früh über sie, daß sie psychisch labil ist und, trotz ihres katholischen Glaubens, seit ihrer Kindheit mehrfach versucht hat, sich das Leben zu nehmen, so auch, nachdem die Ex-Frau ihres Freundes Michael sich umbrachte) eine (erstaunlich günstige, geräumige) Wohnung in einem Altbau in Brooklyn.
Schon bald widerfährt ihr so manch Seltsames-
sie hat Ohnmachtsanfälle, schläft schlecht, kann sich nicht mehr gut konzentrieren. Des Nachts irrt sie durchs Haus, um unerklärlichen Geräuschen und Erschütterungen auf den Grund zu gehen. Als sie sich auch über ihre recht neugierig-aufdringlichen Nachbarn (die Alison sogar zu einer gemeinsamen Katzengeburtstagsfeier „nötigen“) bei der Maklerin Miss Logan beschwert, erfährt Alison, daß sie ausser einem blinden Priester in der Wohnung über sich (der die Wohnung nie verlässt, aber den ganzen Tag am Fenster steht, als ob er die Umgebung beobachten könnte) gar keine Nachbarn im Haus hat. Bei einem Hausrundgang mit Miss Logan stehen auch tatsächlich alle Wohnungen (auch die, in denen Alison zu Gast war) leer.
Doch Ruhe im Haus oder für Alison kehren nun nicht ein, im Gegenteil- Alison's Nächte werden nur noch ereignis- und fürchterlicher. Sogar ihr toter Vater begegnet ihr, gegen den sie sich mit brutalen Mitteln wehren muss, da er sie angreift
(siehe Bodycount).
Franchino, der sich Alison „zufällig“ als unbeteiligter Seelsorger nähert, kann ihr nur kurz Mut in ihrer prekären Situation zusprechen (auch die Polizei ist ihr keine grosse Hilfe, obwohl die ihre Erlebnisse überraschend ernst nimmt). Die Ereignisse überschlagen sich- und daß sich herausstellt, daß ihre „Nachbarn“ allesamt längst verstorbene Mörder sind, macht die ganze Sache für Alison nicht einfacher...

Der Film lässt es eine Weile erst einmal „gelassen“ angehen. Er nimmt sich Zeit für den (geschickten und gradlinig geschriebenen) Handlungsaufbau, der des Zuschauers Interesse an dem, was da noch kommen wird, stets aufrecht hält. Es braucht nicht viel Wendungen- auf leisen, langsamen, aber stetigen Sohlen schleicht sich hier das Grauen in das Leben Alison's. Die einzelnen „Seltsamkeiten“ steigern sich Schritt für Schritt zu einem grossen Gesamten in einer gespenstischen und schliesslich insgesamt furchteinflössend unheimlichen Atmosphäre.
Eines ist von Beginn an sicher- Alison spinnt nicht, die bildet sich nichts ein, der passiert das alles wirklich genau so (Es wirkt nicht so, als wollte der Regisseur uns gegenseitiges einflüstern, in dem er Alison als psychisch „gestört“ vorstellt; wenn dies jedoch seine Intention war, hats nicht geklappt, dann hätte er eine ganze Schippe mehr davon drauflegen müssen).
Was verheissungsvoll mit einem „Wohnungsschnäppchen“ beginnt (Wobei der Genrekenner schon aufhorchte, denn zu schnell ging der Preis sogar noch nach unten, als Alison zögerte), wird zu einem Horrortrip, der bis zum Finale durchgängig aufdreht.

Zwar hält sich der Film (der heute wohl leider eher ein Geheimtip ist, vielleicht auch, weil „Der Exorzist“ und „Das Omen“ heute so bestimmend für die damaligen Genrejahre stehen) auch ab und an nicht mit Erklärungen auf (siehe dazu den Absatz „Logikfehler“ weiter unten), doch ist das bei seinem Tempo gar nicht mal so schlimm. Abgewägt zwischen dem totalen Wissen und dem Schmackes der Geschichte bevorzuge ich tatsächlich letzteres, zumal doch einiges (quasi gemäss Standardhorrorwissen) auf der Hand liegt. Für mehr sei der zugrundeliegende Roman von Jeffrey Konvitz empfohlen, den er selbst auch fortgesetzt hat („The Guardian“, 1979).
Konvitz selbst übrigens gefiel es nicht, daß Einzelheiten aus dem Buch für den Film unter den Tisch fielen, und es ist bekannt, daß er auch mit dem Regisseur nicht einverstanden war. Dieser lies wohl daraufhin Konvitz' Mitarbeit am Drehbuch im Vorspann unerwähnt.

Toll funktioniert das (an das Schauspieleraufgebot in den Katastrophenfilmen der 1970er erinnernde) Starensemble des Films, wenn auch hier dabei grosse Namen nur kurz auftauchen- Martin Balsam als herrlich verwirrter Professor und selbst Genreikone John Carradine als (eindrucksvoll auf hässlich geschminkte)
Original-Titelfigur haben zum Beispiel nur Miniauftritte, und Eli Wallach als verbissener Bulle jenseits der New York City-Copklischees verschwindet zu schnell aus der Handlung.
Cristina Raines ist eine immer sehr natürliche Alison, sie agiert in jeder (noch so bizarren) Situation glaubwürdig und man nimmt ihr alle Facetten der Persönlichkeit ab. Chris Sarandon (der Vampir im Original-„Fright Night-Die rabenschwarze Nacht“ von 1985) ist ein überzeugender Schnösel, der Alison zwar, grossspurig wie er immer daherkommt, nicht verdient hat, aber doch ehrlich zu ihr ist (Obwohl er ein grosses Geheimnis mit sich herumträgt,
siehe Bodycount).
Burgess Meredith ist als tuttiger „Nachbar“ erstmal eine aufheiternde Nervensäge, doch das soll sich ändern, denn später wird er den Zuschauer als das absolute Gegenteil geradezu zu Tode erschrecken, und auch als solches einen klasse Eindruck hinterlassen. Arthur Kennedy als lange undurchschaubarer Kirchenfuzzi, Ava Gardner als eitle Maklerin und Sylvia Miles mit Mut zur Unsympathin sind die Pünktchen auf dem „i“.
Christopher Walken und Jeff Goldblum übrigens waren noch unbekannt und sind in kleinen Rollen dabei, in denen man noch nichts von ihrem Talent sehen kann.


Das Haus
steht bis heute (bewohnt) in New York City (der Neubau im Epilog des Films ist zum Glück nur ein visueller Effekt). Innen soll es allerdings anders aussehen als im Film, wo Kulissen und Szenenbilder, je nach Bedarf, so schön wie unheimlich anzusehen sind. Sowohl Kamera als Musik liefern angenehmen Horrorfaktor und der Schnitt guten Spannungsstandard. Einige der beeindruckenden Toneffekte gehen in der deutschen (insgesamt sehr guten) Synchronisation unter oder wurden (schwach) nachvertont.

Fazit:
Herrlich klassisch (im besten Sinne altmodisch) in Szene gesetzt, wunderbar atmosphärisch von Beginn an und sich steigernd, und hervorragend besetzt- Horror, wie er sein soll, sein muss und zu sein hat.

Stab:
Regie: Michael Winner
Drehbuch: Michael Winner,
(Im Vorspann unerwähnt) Jeffrey Konvitz
Nach dem gleichnamigen Roman
von Jeffrey Konvitz (1974)
Kamera: Richard (Dick) C.Kratina
Kameraassistenz:
Joseph Di Pasquale, Vinnie Gerardo
Musik: Gil Mellé
Schnitt: Bernard Gribble, Terence (Terry) Rawlings,
Michael Winner
Ton: Les Lazarowitz
Produktionsdesign: Philip Rosenberg
Szenenbild: Ed (Edward) Stewart
Kostüme: Peggy Farrell
Special Male Up:
Robert Laden, Dick Smith
Make Up für John Carradine: Michael R.Thomas
Spezialeffekte: Terry Parmalee
Visuelle Effekte: Albert Whitlock
Hintergrundmalereien: Henry Schoessler
Regieassistenz: Charles Okun
Zweite Regieassistenz:
Larry Y.Albucher, Ralph S.Singleton
Produktion: Michael Winner, Jeffrey Konvitz


Spoiler:
Besonders Michael ist Alison (die inzwischen auch körperlich schwächelt) eine grosse Hilfe und ermittelt auf eigene Faust. Er ist misstrauisch gegenüber der Diözese, der das Haus gehört, und die sich auf Fragen ihm gegenüber ablehnend verhält. Akteneinsicht zur Vergangenheit und dem ihm „verdächtigen“ Priester Halliran wird ihm verwehrt, und so bricht er in das Archiv der Kirche ein. Als ihm die Wahrheit bewusst ist (Alison ist bereits als nächste „Wächterin des Höllentores“, das sich im Haus befindet, in den Akten eingetragen), sucht er Halliran, den Noch-Wächter, auf. Es kommt zum Streit, als dieser schweigt, dann zum Kampf, doch der dazukommende Franchino erschlägt Michael in Notwehr.
Als Alison dazukommt, kommt es zur entscheidenden Auseinandersetzung zwischen Höllengegnern und Höllendienern.
Charles Chazen taucht mit einer Gruppe entstellter (und toter) Menschen auf (
Zitat: „Wiedergeburten aus der Hölle“, wie auch Alison's „Nachbarn“ es sind, Foto Oben). Er erzählt Alison, daß sie bestimmt sei, die neue Wächterin des Höllentores zu werden (Inzwischen keine Neuigkeit für den Zuschauer mehr) und will sie dazu bringen, sich (jetzt endlich und wirklich) das Leben zu nehmen- da sie dann nicht Wächterin werden kann, sondern ebenfalls der Hölle anheim fällt.
Allein der Aufmarsch der Kreaturen und eine Kannibalistenszene (gerade für einen amerikanischen Film der Zeit überraschend heftig und zeigefreudig inszeniert) begründen hier die FSK 18.
Halliran und Franchino können die Kreaturen und Chazen in letzter Sekunde bannen (Foto unten Links) und in die Hölle (zurück) schicken. Halliran übergibt Alison sein Kreuz.

Epilog: Das Gebäude wird abgerissen, ein neues, moderneres entsteht. Die Maklerin führt ein interessiertes Paar durch eine der Wohnungen und erzählt von einer Nachbarin- einer blinden Nonne, die das Haus nie verlässt. Schliesslich sehen wir die Nonne (Foto unten Rechts), die an ihrem Fenster steht und trotz Blindheit hinauszublicken scheint- es ist Alison... Ende.

Logikfehler:

Vor allem nicht wirklich erklärte Vorfälle und Verhaltensweisen von Personen (beziehungsweise ihr Verschwinden aus der Handlung) fallen auf (
Siehe auch Bodycount). Aber auch Fragen wie: Warum muss der/die Wächter/in unbedingt blind sein? Warum muss der/die Wächter/in offenbar Selbstmordversuche hinter sich haben und wieso wurde gerade Alison ausgewählt (denn das wurde sie, wie Franchino's Verhalten schon früh im Film deutlich zeigt).

Bodycount:

- Alison's Vater stirbt eines natürlichen Todes:
- Im Haus ersticht Alison eines Nachts ihren Vater (
Beziehungsweise eine lebende Leiche, die wie dieser aussieht- der Zuschauer wird es nicht genau erfahren. kommt aber in den „Genuss“ einer weiteren, sehr expliziten Szene). Es handelt sich dabei offensichtlich nicht um einen Traum Alison's (siehe Besprechung). Die „Leiche“ verschwindet spurlos. Der Vorfall macht jedoch die Polizei aufmerksam, und Detective Garz, der noch eine Rechnung mit Lerman offen hat (er verdächtigt ihn, Lerman's Frau, die angeblich Selbstmord beging, ermordet zu haben, konnte ihm das aber nie nachweisen) bleibt zunächst an der „Sache“ dran (bevor er im Film nicht mehr gesehen ward).
- Privatdetektiv Brenner (den Lerman beauftragt hatte, quasi auf Alison aufzupassen) wird erstochen aufgefunden- die Wunden ähneln den Schilderungen Alison's aus der Nacht, in der sie ihren Vater „erstach“ und wie sie vorging.
Im Film wird später darauf nicht mehr eingegangen, die eventuellen Zusammenhänge und wer Brenner nun tötete, werden nicht aufgeklärt.
- Monsignore Franchino erschlägt Lerman, als dieser Father Halliran, der auf Lerman's Nachfragen schweigt, erstechen will (
siehe Spoiler).
- Der lebende Tote Lerman (nun ein Höllendiener) gesteht Alison, er habe Brenner damals beauftragt, Lerman's Ex-Frau zu ermorden (die also nicht Selbstmord beging).
- Charles Chazen wirft Lerman ein Messer in den Hals (
Warum genau, wird nicht klar, aber Lerman scheint „erneut“ Sterbensqualen zu erleiden).
- Der Logik der Geschichte nach (so wird es zuvor erwähnt) müsste Father Halliran vor dem
Epilog gestorben sein, da Alison von ihm das Wächteramt übernommen hat.

In der Öffentlichkeit umstrittene Szenen:

- Ihre „Nachbarin“ Sandra masturbiert im Beisein Alison's- die Szene hat keinerlei Bedeutung für den Plot, und verstärkt noch des Regisseurs auffällig negative Zeichnung des lesbischen Paares Gerda und Sandra.
- Daß zum Teil real entstellte Menschen beim „Aufmarsch der Höllengestalten“ im Finale mitspielen, wurde vielfach bemängelt. Es wurde von „Zurschaustellung“ gesprochen.

Drei Jahre zuvor hatte (der als etwas reaktionär verschriene) Regisseur Winner den ersten Teil seiner unreflektierten Selbstjustizthriller mit Charles Bronson („Ein Mann sieht rot“) gedreht, da war er wohl Kritik wegen „unsensibler“ (politisch „unkorrekter“) Darstellungen bereits gewöhnt. Vielleicht hat er sich deswegen nie gross über diese Szenen geäussert.