(69) Veröffentlichung: 07.Juni 2020

Original-Kinotitel laut Vorspann: JACK THE RIPPER
Gebräuchlicher Titel:
JACK THE RIPPER-DER DIRNENMÖRDER VON LONDON
D/Schweiz, 1976 – Originallänge: 92 min./FSK 18
Kinoversion D: 82 min./FSK 16
Drehzeit: 2.- 22.Juni 1976 in Zürich
Kinopremieren: D- 23.September 1976; Schweiz- Nicht bekannt


Sicher, dieser Film beruht nur sehr lose auf dem bis heute nicht abschliessend geklärten Kriminalfall des wohl berühmtesten Mörders aller Zeiten, und hält sich kaum an die wenigen überlieferten Tatsachen. Er spekuliert und erzählt seine ganz eigene, frei erfundene Geschichte- doch welche der vielen Verfilmungen des Stoffes tut das letztlich nicht? So war wohl auch hier die Verwendung des Namens des Serienkillers mindestens auch Mittel zum Zweck, um Menschen ins Kino (beziehungsweise heutzutage vor die Bildschirme) zu locken.
Doch im Gegensatz zu manch anderem Film, der die Motive aufgreift, ist die Geschichte hier zumeist sorgfältig und gut erdacht und bis auf ein dann allerdings leider unbefriedigendes und unverständlicherweise recht plötzliches (und unoriginelles) Ende durchgehend spannend geschrieben worden. Jess Franco hat konstant gut inszeniert, was man nicht immer von ihm behaupten konnte. Logik- und Schludrigkeitsfehler, die sich bei ihm immer mal wieder eingeschlichen haben, wurden hier vermieden, auch dank eines nicht wie sonst bei ihm oft hektischen, sondern in der Originalfassung flüssigen Schnitts, für den sich offensichtlich mehr Zeit, als bei Franco sonst üblich war, genommen wurde (während die Dreharbeiten in flotten drei Wochen abgeschlossen waren).



Im Film ist dem Zuschauer von Anfang an bekannt, wer sich hier hinter dem Ripper verbirgt- es ist der Arzt Dr.Orloff, der sich tagsüber aufopfernd um zumeist bedürftige Patienten kümmert, nachts jedoch als Mörder durch die Strassen Londons schleicht. Er tötet ausnahmslos Prostituierte, zerstückelt sie, und wirft dann ihre Überreste in die Themse (beziehungsweise erledigt das seine Arzthelferin Frieda für ihn, deren Gründe dafür jedoch im Dunkeln bleiben und die irgendwie immer aus dem Nichts auftaucht).
Auch des Rippers Motive werden dem Zuschauer durch dessen eindrucksvoll und fast erschütternd filmbebilderten Alpträume früh bekannt- selbst Sohn einer Dirne, die ihn als Kind sexuell missbrauchte, lebt er so seinen Hass auf die Frauen aus.
Seine scheinbar perfekte Tarnung bröckelt, als der blinde Mr.Bridger Zeuge einer seiner Taten wird. Der Ripper schätzt den alten Mann aufgrund dessen Behinderung als nicht hilfreich für die Polizei ein, und lässt ihn daher laufen. Doch Orloff hat nicht mit dem Geruchssinn des Zeugen gerechnet, und auch nicht mit der Entschlossenheit des ermittelnden Inspektors Selby. Als Orloffs Patient Charlie ihm auch noch auf die Spur kommt, und ihn erpresst, wird es eng für Orloff, der dennoch nicht von seinen Taten lassen kann…
Wie bei Jess Franco nicht anders zu erwarten, mangelt es nicht an expliziten Gewaltdarstellungenn (die Morde, die Zerstückelungen, die, wie „deleted Scenes“ auf heutigen VÖ beweisen, sogar teils noch zeigefreudiger gedreht und getrickst wurden, als sie im fertigen Film zu sehen sind) und bleibt die angenehm starre Kamera (vielleicht ein wenig voyeuristisch) stets nahe am Geschehen, wenn der Ripper mal wieder zuschlägt und die (natürlich) nackten Frauenkörper zerstückelt. Für Zartbesaitete ist das nicht geeignet, weshalb auch die FSK der ungekürzten Fassung vollkommen in Ordnung geht, und bei der entschärften Fassung für Deutschland vor allem diese Szenen fehlen. Doch Franco hat des öfteren „härteres“ abgeliefert, und so fielen der deutschen Kino-Schere bei diesem Film „nur“ zehn Minuten zum Opfer, und es hätte auch etwas weniger sein dürfen. In der verkürzten Fassung fällt dann schliesslich auch auf, daß es- für Jess Franco eher unüblich- tatsächlich einige längere reine Dialogeinstellungen gibt, die allerdings vor allem deshalb nicht negativ auffallen, weil er hier mit zumeist sehr guten Schauspielern gearbeitet hat.

Links: Hans Gaugler, Rechts: Andreas Mannkopff
Herbert Fux und eine des Rippers scheusslichen Taten

Klaus Kinski spielt zwar (sogar sichtlich) manche Szene gelangweilt*, aber als ein kalter und gefühlloser Wahnsinniger geht der immer durch und überzeugt (da reicht schon sein typisches diabolisches Grinsen, abwechselnd mit seinem irren Blick, und dann sein erstaunlicher Charme, den er seinen Opfern gegenüber zunächst an den Tag legt). Andreas Mannkopff (1939-2015, einer der vielseitigsten und vielbeschäftigtesten deutschen Film-und vor allem Fernsehdarsteller der 1970er- und 1980er-Jahre aus der eher zweiten Garde) gibt den zwar einsilbigen, aber engagierten Jäger des Rippers facettenreich und kann hier auch gegen den grossen „Star“ bestehen. Herbert Fux und Hans Gaugler spielen in kleineren Rollen toll Typenbesetzt, und sind wichtig und vorantreibend für die Filmhandlung, sie können dementsprechend (dank ihres Könnens) auffallen. Nur die Josephine mit dem bekannten Nachnamen bleibt, obwohl sie sich sogar todesmutig und ohne Wissen ihres Verlobten als Lockvogel für den Ripper betätigt, blass und konturenlos. Da können die „Opfer“ im Film und Olga Gebhard als aufdringliche, in Orloff verknallte Vermieterin weit mehr überzeugen.
Wenn auch in der Schweiz beziehungsweise dort vor allem im Studio gedreht, so kommt das viktorianische London (die Stadt stets verregnet und im Nebel) doch glaubhaft rüber. Trotz des sicherlich geringen Budgets sind die Bauten und Requisiten gut gelungen und eingesetzt, Kostüme und Ausstattung sind meist historisch genau und fein anzusehen, und man hat es vermieden, die Ausleuchtung speziell bei Nachtszenen allzu sehr zurückzufahren. Die unheimliche Atmosphäre bleibt stets präsent, und die (oft, aber nie aufdringlich laut präsente) Musik von Walter Baumgartner (anerkannter Jazzmusiker und Spezialist für die Scores bizarrer Filme, mehrfach auch die von Franco) tut ihr übriges, um den Schauder wirken zu lassen.

Josephine Chaplin (Links) hat zwar die "wichtigere" Rolle, Lina Romay spielt aber besser

Entsetzt!
Fazit:
Insgesamt einer der zweifellos besten Filme der spanischen Genreikone Jess Franco (über 200 Werke als Regisseur, als Autor und als Komponist, des öfteren auch gleichzeitig), und ein Horrorstreifen, der dem Zuschauer in Erinnerung bleibt. Teilweise sogar
mehr ein Psychogramm des Täters und Milieustudie als einfach nur ein Schlitzerfilm. Das völlig verhunzte Ende mag man verzeihen.
Der Film ist bis heute sehr gut erhalten; die Nachsynchronisation klingt allerdings etwas künstlich und unpassend zum Gesamteindruck.
 
* Statement von Klaus Kinski zum Film: „Ich entscheide mich für den Schweizer Film Jack The Ripper in Zürich. Ich drehe den Scheiß in acht Tagen herunter. Den Rest der Zeit spiele ich Tennis, auch im strömenden Regen, bis mir Hände und Füße bluten und ich vor Blasen nicht mehr gehen noch stehen kann.“ – [Buch „Ich brauche Liebe“, 1991, Seiten 321–322]
Darsteller:
Klaus Kinski als Dr.Dennis Orloff (Der Ripper) – Deutsch: Fred Maire
Andreas Mannkopff als Inspektor Selby – Deutsch: Er selbst
Josephine Chaplin als Cynthia, seine Verlobte – Deutsch: Almut Eggert
Herbert Fux als Charlie – Deutsch: Er selbst
Hans Gaugler als Mr.Bridger, der Blinde – Deutsch: Arnold Marquis
Nikola Weisse als Frieda, Orloffs Assistentin – Deutsch: Barbara Ratthey
Lina Romay als Manka Stevenson, 3.Opfer – Deutsch: Ilse Pagé
Angelika Arndts als Mrs.Stevenson, ihre Mutter – Deutsch: ?
Peter Nuesch als Sergeant Ruppert – Deutsch: Wolfgang Ziffer
Olga Gebhard als Mrs.Baxter, Orloffs Vermieterin – Deutsch: ?
Ursula von Wiese als Miss Higgins, eine Zeugin – Deutsch: Gisela Trowe
Francine Custer als Sally Brown, 1.Opfer – Deutsch: Marianne Lutz
Esther Studer als Jeanny, 2.Opfer – Deutsch: ?
u.A.



Stab:
Regie und Drehbuch: Jess Franco
Kamera: Peter Baumgartner
Musik: Walter Baumgartner
Schnitt: Marie-Luise Buschke
Ton: Hubertus Schmandtke, Klaus Hein
Produktionsdesign: Rolf Engler
Requisiten: Bernhard Sauter, Rolf Krebs
Kostüme: Sylvia De Stoutz, Ellen Salzmann
Maske: Jakob Peier, Rita Burkhart
Regieassistenz: Mark Rissi, Alfons Sinniger
Aufnahmeleitung: Peter Spoerri
Herstellungsleitung: Max Dora
Produktionsleitung: Eduard A.Stöckli
Produktion: Erwin C.Dietrich
Spoiler:
Die ohne Wissen ihres Verlobten Selby „Undercover“ tätige Cynthia wird vom Ripper als sein nächstes Opfer auserkoren. Bevor er sie entführt, kann sie einen Barbesitzer zur Polizei um Hilfe schicken. Mr.Bridger gibt den Beamten schliesslich den entscheidenden (Pflanzengeruchs-)Tip (den er beim Ripper wahrgenommen hatte) und die Polizei kann Cynthia in einem bestimmten Gewächshaus (nur dort gibt es die entsprechend riechenden Pflanzen) aus den Fängen des Rippers befreien- Orloff wird gefasst. Arrogant weist er Selby darauf hin, daß dieser ihm jedoch die Taten
erst einmal nachweisen" müsse... Ende.
Bodycount:
- Drei weibliche Opfer des Rippers, siehe Darstellerliste
- Orloff tötet den ihn erpressenden Charlie (die Tat wird im Film nicht gezeigt)
und hängt dessen Leiche auf dem Dachboden seines Hauses auf. Dort findet Mrs.Baxter den Toten.


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