(65) Veröffentlichung: 04.Mai 2020

USA, 1977 – 98 min. – FSK 16
Originaltitel: Telefon


Drehzeit: Januar/Februar 1977
Kinopremiere: USA- 16.Dezember 1977; D- 17.März 1979

Tatsächlich wurde hier für den Originaltitel des Films nicht die aus Sicht des Produktionslandes korrekte Schreibweise „Telephone“ gewählt. Dies deshalb, weil im kyrillschen (russischen) Alphabet, wenn man deren Buchstaben in die lateinischen „umwandelt“, das Wort „Telefon“ erscheint. 
Januar 1977: Nicht einverstanden mit der Entspannungspolitik der Sowjetunion gegenüber den Vereinigten Staaten, setzt sich der russische Nachrichtenoffizier Dalchimsky in die USA ab. In seinem Besitz befindet sich ein kleines Büchlein, mit dessen Einträgen er 51 seit Jahren in den USA unauffällig lebende „Schläfer“ zu Selbstmordattentätern verwandeln kann. Ihnen am Telefon Zeilen aus einem bestimmten Gedicht* vorzulesen, reicht aus, und die Menschen handeln, wie es ihnen vor vielen Jahren eininstruiert wurde. Das FBI steht zunächst vor einem Rätsel, zudem die Anschlagsziele zumeist inzwischen keine strategischen Bedeutungen mehr besitzen und teilweise sogar leer stehen.
Während der KGB-Major Borzov heimlich in die USA reist, um Dalchimsky unschädlich zu machen, und zusammen mit der
(wie sich für uns Zuschauer bald herausstellt) Doppelagentin Barbara die Suche nach Dalchimsky aufnimmt, gelingt es der FBI-Analystin Putterman, nach und nach die Zusammenhänge zu erkennen…

Macht es mit dem Telefon: Donald Pleasence.
Benutzt auch mal die Knarre: Charles Bronson.

Schon die Szenen zum Vorspann zeigen, wie mustergültig Spannung aufgebaut werden kann- ein unheilschwangerer russischer Polizeieinsatz, doch der Gesuchte Dalchimsky (und wir ahnen, daß er wirklich böses vorhaben muss) ist bereits auf und davon. Und auch, wenn wir kurz danach schon wissen, weshalb und warum man es auf den Mann abgesehen hat (und auch die Hintergründe all dessen für uns kein Geheimnis mehr sind), ändert das nichts daran, daß wir eine stimmig-nachvollziehbare und spektakulär-rasante Handlung geboten bekommen, die, obwohl wir wissen und gerade weil wir es tun, an ihrem Tempo danach nichts einbüsst, und die uns in unserem Wissen sogar meistens ein bisschen Vorsprung vor den Protagonisten gewährt. Mehr noch: es gelingt dem Film das wahrlich seltene Thrillerkunststück, sich noch zu steigern, inklusive eines ganz besonderen Happy-Ends.
Der Rückblick in eine Zeit, in der es (mangels Handys) noch ab und an ziemlich kompliziert war, Leute telefonisch zu erreichen (und Telefonzellen noch weitverbreitet, aber gerne auch besetzt, waren), mag für die heutige Generation fast etwas belustigend-altmodisches haben, sorgt aber für einen zusätzlichen Kick der Handlung- mit modernem Zeugs würde das alles als Film nicht funktionieren können, was zum Glück auch ein (überflüssiges) Remake verhindern sollte.
Action gibt es naturgemäss satt, doch nie übertrieben selbstzweckhaft, wenns explodiert, dann knackig-knallig, aufwendig getrickst und auf den Punkt. Die „Schläfer“, die lange schon nichts mehr von ihrer Bestimmung und daß sie nicht sind, wovon sie selber denken, sie wären es, wissen, sind allesamt unscheinbare Bürger. Doch der eine Anruf reicht, und sie laufen ab wie ein Uhrwerk, holen sich ihre Kiste Sprengstoff aus einem Versteck, und erfüllen ihren Auftrag (beziehungsweise versuchen es, siehe Bodycount).
Donald Pleasence begeistert als der einzig wirklich Böse in der Geschichte, seine eigenen Vorgesetzten wollen ja nicht (mehr), was er da (von seiner Ideologie immer noch besessen) tut, obwohl sie es selbst einst zumindest für einen Fall der Fälle so vorgesehen hatten- und die „ausführenden“ Attentäter können nun mal nicht anders. Pleasence, von einem Kritiker einst zu Recht der „Mann mit den hypnotischen Augen“ genannt- hier nur Monate, bevor er erstmals seine „Paraderolle“ des Dr.Loomis in den „Halloween“-Filmen spielen sollte- agiert kühl und berechnend, er weiss genau, was er da tut, und er nimmt es nicht nur in Kauf, womöglich ganze Staaten in einen Krieg zu führen, sondern genau das ist sein perfides und letztlich menschenverachtendes Ziel. Das Böse kann manchmal ganz schön aufregend und faszinierend sein und gerade in diesem Fall spielt „es“ quasi die Hauptrolle, egal, ob der Charakter nun im Film immer die Oberhand behält. Da wirken sein Charakter und er als Darsteller auch nicht langweilig, obwohl sich ein nicht geringer Teil seines Dialogs auf die sich wiederholenden Gedichtszitate beschränkt.

Braucht ihre Anlaufzeit: Lee Remick.
Die Schlaue und ihr Chef: Tyne Daly, Frank Marth.

Charles Bronson muss, wie zumeist, nicht so viel tun, um zur Rolle zu passen- den schweigsamen und grummeligen Einzelgänger nimmt man ihm genauso immer ab, wie den militärisch-präzisen Macher. Doch selbst seine sich (anfangs sehr langsam) aus dem grossen Misstrauen beider gegeneinander entwickelnde Liebesgeschichte mit der zunächst unauffälligen, im Verlauf der Handlung aber aufdrehenden Lee Remick passt.
Eine Entdeckung war hier zweifellos die später in „Cagney und Lacey“ bekannt gewordene Tyne Daly als neugierige und intelligente FBI-Mitarbeiterin, die trotz der anfänglichen Ablehnung durch ihre Vorgesetzten weiter und schliesslich erfolgreich nachforscht.
Statt, wie man ähnliche Motive in Filmen während des „Kalten Krieges“ oft nutzte, dort Propaganda gegen die „andere“ Seite zu betreiben, versteht es Regisseur Don Siegel (der in seiner Autobiographie die Handlung des Films allerdings als „unglaublich und unmöglich“ beschrieb und den eigentlich als Regisseur vorgesehenen Peter Hyams erst kurz vor Drehbeginn ersetzte), das zu vermeiden. Mit lockerer Hand und einem gut dosierten Händchen für Nebenbei-Ironie gelingt Siegel (1912-1991, kurz zuvor noch allzu heldenverehrend mit John Wayne’s letztem Auftritt in „Der letzte Scharfschütze“ am Werk und 1971 mit „Dirty Harry“ für Selbstjustizverherrlichung verantwortlich) ein Werk mit quasi politisch-versöhnlichem Touch, und mit einem Teil des Verhaltens der russischen „Seite“ nimmt er gar ein wenig „Glasnost“ vorweg.
Fazit:
Explosiv und klasse, flott und zackig, herausragend geschauspielert und auch toll synchronisiert.
Einer der besten und unterhaltsamsten Siebziger-Jahre-Thriller überhaupt, bei dem nach heutigen Massstäben die FSK 16 jedoch überzogen erscheint, da Action- und Gewaltszenen sehr zurückhaltend inszeniert sind.
* Die Zeilen aus dem die „Schläfer aufweckenden“ Gedicht „Stopping By Woods On A Snowing Evening“ (deutsch: „Rast am Wald an einem verschneiten Abend“) stammen von dem US-amerikanischen Lyriker Robert Frost und sind bereits aus dem Jahr 1922.
Als Hommage an „Telefon“ verwendete Quentin Tarantino die Zeilen in seinem Film „Death Proof-Todsicher“ (2007).


Darsteller:
Charles Bronson als Major Grigori Borzov – Deutsch: Michael Chevalier
Donald Pleasence als Nicolai Dalchimsky – Deutsch: Friedrich W.Bauschulte
Lee Remick als Barbara – Deutsch: Marianne Lutz
 
Tyne Daly als Dr.Dorothy Putterman, FBI – Deutsch: Gisela Fritsch
Frank Marth als Harley Sandburg, ihr Chef – Deutsch: Horst Schön
Patrick Magee als General Strelsky, KGB – Deutsch: Wilhelm Borchert
Alan Badel als Colonel Malchenko, KGB – Deutsch: Heinz Petruo
Roy Jenson als Doug Stark (“Schläfer” Nr.7) – Deutsch: Wolfgang Völz
Helen Page Camp als Emma, seine Frau – Deutsch: ?
John Mitchum als Harry Bascom (“Schläfer” Nr.1) – Deutsch: ?
Sheree North als Mary Willis (“Schläfer” Nr.5) – Deutsch: Traudel Haas

u.A.
Stab:
Regie: Don Siegel
Drehbuch: Peter Hyams, Stirling Silliphant
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Walter Wager (1975)
Kamera: Michael Butler
Musik: Lalo Schifrin
Schnitt: Douglas Stewart
Produktionsdesign: Ted Haworth
Art Direction: William F.O’Brien
Szenenbild: Robert R.Benton
Spezialeffekte: Joe Day
Make Up: Del Acevedo
Regieassistenz: Luigi Alfano, David Hamburger
Produktion: James B.Harris


Auch mal getarnt: Donald Pleasence.

Spoiler:
Das FBI schon auf den Fersen, erkennt Borzov die nur scheinbar willkürliche Vorgehensweise von Dalchimsky (der mit den Anfangsbuchstaben der Wohnorte der „Schläfer“ seinen Namen bildet) und kann mit Barbara vor Dalchimsky am nächsten Ort sein. Dort tötet er zuerst den „Schläfer“ (wohl um Barbara zu beweisen, wie das mit der Hypnose funktioniert, ganz klar wird das allerdings nicht) und erwürgt dann den ebenfalls aufgetauchten Dalchimsky- die Gefahr durch den russischen Hardliner ist gebannt.
Barbara tötet Borzov nach Abschluss der gemeinsamen Aktion nicht, wie sowohl KGB als auch das dank Dr.Putterman nun informierte FBI von ihr verlangt hatten (um die Geschichte geheim zu halten). Die zwei, nun ein Paar, rufen beide Geheimdienste an, und verlangen, fortan von ihnen in Ruhe gelassen zu werden- ansonsten würden „die Telefone wieder klingeln“. Zwar vernichtet Borzov das Buch mit den Namen und Telefonnummern der „Schläfer“, doch hat er diese dank seines fotografischen Gedächtnisses bereits alle auswendig gelernt.
Die beiden fahren gemeinsam davon.
Ende.
Die „Schläfer“/Bodycount:
- Automechaniker Bascom begeht mit seinem mit Sprengstoff beladenen Van einen Selbstmordanschlag auf einen stillgelegten Militärstützpunkt. Er erschiesst beim Eindringen einen Wachposten, weitere Opferzahl ungenannt.
- Charterpilot Hussler wird beim Versuch, mit seinem mit Sprengstoff beladenen Helikopter eine Radarstation der Marine in die Luft zu jagen, von einer Rakete abgefangen. Keine weiteren Opfer.
- Dritter „Schläfer“ Peters jagt ein Munitionsdepot in die Luft (Anschlag wird nicht gezeigt, weitere Einzelheiten nicht genannt).
- Priester Diller sprengt eine Telefonanlage in die Luft (Tat wird nur in einem Fernsehbericht gezeigt), kommt verletzt ins Krankenhaus und wird dort von Barbara mit einer Luftinjektion getötet.
- Hausfrau Willis sprengt einen Firmenkomplex in die Luft und tötet sich dann mit einer Giftpille selbst. Weitere Opfer ungenannt.
- Sechster „Schläfer“ Callender stirbt bei einem Autounfall, bevor er seine Tat ausführen kann. Weitere Opfer ungenannt.
- Gastwirt Stark wird vor Tatausführung von Borzov mit einem Tuch erwürgt (
siehe Spoiler).
- Dalchimsky wird von Borzov erwürgt (
siehe Spoiler).