(40) Veröffentlicht: 25.August 2019

DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON
WA/Andere Medien auch: (Das) Poseidon-Inferno
USA, 1972 – Originallänge: 117 min./Kino D: 112 min. – FSK 12
Originaltitel: The Poseidon Adventure

Drehzeit: April-Juli 1972
Kinopremiere: USA- 12.Dezember 1972; D- 25.Januar 1973

Über den Jahreswechsel ist das Kreuzfahrtschiff „Poseidon“ auf seiner letzten Fahrt vor der Ausmusterung und Verschrottung. Während der grossen Silvesterfeier an Bord wird das Schiff von einer riesigen Monsterwelle erfasst und kentert, nur wenige Menschen überleben den Einbruch der Wassermassen und müssen sich, während das Schiff kieloben treibt und damit alles auf dem Kopf steht, einen rettenden Weg hinaus suchen…

Eine Kopfüberkatastrophe...


Bei dem seinerzeit mit fünf Millionen Dollar ungewöhnlich und fast rekordverdächtig hohem Budget des Films muss es für die Produzenten eine wahre Erlösung gewesen sein, daß sie nicht nur den erfolgreichsten Kassenschlager des Jahres 1973 hinlegten, sondern zudem auch noch einen wahren Boom von Katastrophenfilmen auslösten. Kurz danach schon ging ein Hochhaus in Flammen auf (verantwortet vom gleichen Autor und gleichem Produzenten), es bebte die Erde, Flugzeuge stürzten ab, ein Meteor bedrohte die Welt… und viele andere schreckliche Heimsuchungen fanden ihren Weg auf die Leinwände (bis heute, inzwischen vor allem allerdings von Herrn Emmerich oder in unzähligen und immer wieder neu geklaut-aufgekochten Szenarien in billigen Fernsehproduktionen).

Die erste halbe Stunde des Films ist noch recht durchwachsen. Die Aussenszenen des Schiffs sind schwach getrickst (als Modell erkennbar und als solches wirkend), und die Dialoglastigkeit strengt etwas an. Nun gut, verständlich insofern, da schliesslich recht viele Protagonisten vorgestellt werden müssen, ihre Reisemotive wie auch mindestens ansatzweise ihre Charaktereigenschaften (wie das halt so ist bei solchen Ensemblefilmen mit mehreren „grossen“ Stars, von denen jeder zur Geltung kommen muss- und wohl auch will), und wer schon jetzt (und also auch später) mit wem „kann“ und mit wem nicht. Klar ist jedoch stets, daß es bald so richtig scheppern wird, was es dann auch vom Feinsten tun wird.
Zunächst kommen aber die Meldungen an den Kapitän, seine besorgten Blicke, die Aufregung unter seinen Offizierskollegen; der selbstverständlich unsympathische Reeder, laut dem schon alles gut werden wird (natürlich lässt man aber die Passagiere bis zuletzt im Dunkeln und ungetrübt feucht-fröhlich weiter ins neue Jahr feiern); und schliesslich dann zum ersten Mal die Monsterwelle ins Bild. Jetzt gehts zur Sache. Verhindern kann es eh keiner mehr, dagegen tun auch nichts, die Natur macht eben, was sie will. Und in nun gut und glaubwürdig gemachten Tricksequenzen geht es ab in die Katastrophe.
Die Welle schlägt über das Schiff, in Windeseile bricht das Chaos aus, Menschen fliegen wie Püppchen umher, der Bodycount ist nicht zu zählen, die totale Verwüstung hält Einzug. Wo eben noch unten war, ist jetzt oben und krampfhaft und verzweifelt schreiend klammern sich die Menschen an den Stühlen (jetzt an der Decke) fest, auf denen sie gerade noch sassen- während eine/r nach dem/der anderen in den Tod fällt. Irgendwann ist dann wieder Ruhe, Totenstille, und die, die überlebt haben, sammeln sich, innerlich wie mit anderen zusammen, suchen Halt und Trost- wohl wissend, daß sie es noch lange nicht „geschafft“ haben. Das Drama beginnt gerade erst.


Neun, die leben wollen...
(v.L.: Gene Hackman, Stella Stevens, Ernest Borgnine, Jack Albertson, Shelley Winters, Red Buttons, Eric Shea, Carol Lynley, Pamela Sue Martin)
...und viel klettern müssen.

…Unter Führung des eher weltlichen und recht eigensinnigen Reverend Scott macht sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von insgesamt neun Überlebenden auf den Weg zum Schiffsrumpf, also nach oben, wo die Aussenhaut des Schiffes am dünnsten ist. Weitere Überlebende bleiben, dort auf Rettung wartend, an Ort und Stelle des Ballsaales zurück- kurz darauf wird dieser überflutet, und die Menschen dort kommen ums Leben; andere Überlebende bilden eine zweite Gruppe, die einen anderen Weg geht, und damit (so darf aufgrund der weiteren Handlung vermutet werden) in den sicheren Tod...

Die „Höllenfahrt“ war in ihrem Genre ohne Frage ein wegweisender Anfang, und bereits das sozusagen ultimative Nonplusultra, eine Art Blaupause des noch neuen Genres. Der Film bietet, was von da an in den allermeisten Filmen der Art kopiert werden sollte- das Staraufgebot von Schauspielern, von denen einige der Charaktere nach und nach während des Films, zumeist unter heroenhaften Umständen, sterben, in einem mit grossem technischem Aufwand und neuesten Tricktechniken gedrehten Spektakel der Verwüstung und menschlicher Extremsituationen. Dazu vor allem hiernach neue, ungewohnte, ausgeklügelte Schnitttechniken, wie das Aufteilen der Leinwand in verschiedenen Blickwinkel oder Szenen. Am Ende aber dann doch immer mit der (auch gerne vorhersehbaren) Aussicht auf ein neues, besseres Morgen- eben wunderbares, unterhaltendes, fesselndes Popcornkino. Unter anderem gab es dafür für diesen Film acht, vor allem technische Oscar-Nominierungen, gewinnen konnte er allerdings „nur“ den für den besten Filmsong (von Al Kasha und Joel Hirschhorn). Die Effektkünstler Flowers und Abbott erhielten dazu noch einen Sonderoscar für ihre Tricks (die "reguläre", jährliche Auszeichnung für die besten Effekte wurde erst später eingeführt). 

Der Film konzentriert sich im Verlauf ganz auf die kleine Gruppe der so vollkommen unterschiedlichen Menschen, die sich erst zusammenraufen müssen, ihren beschwerlichen Weg durch das Schiffsinnere und den nötigen Zusammenhalt finden müssen. Auf die Konflikte, die Probleme, die Hoffnungen, die immer wieder Rückschläge erleiden. Jede/r muss alles geben, jede/r wird gebraucht, und sei sein/ihr Beitrag noch so klein. Der Film schafft es (obwohl kein Zuschauer an einem mindestens kleinen Happy-End zweifelt), die spannende Frage, ob die Rettung gelingt, bis zum Schluss offen zu halten.
Das komplett auf dem Kopf stehende Interieur ist dabei noch das kleinste Problem für die Menschen, ist jedoch aufregend anzusehen und als Kulisse hervorragend und mehr als gelungen gestaltet- auch die „tatsächlichen“ Bauten und die kaum auffallenden Hintergrundmalereien (die Tiefenwirkung ist verblüffend gelungen) sind hier Oscarreif, mussten aber damals „Cabaret“ den Vortritt bei der Verleihung lassen.



Gene Hackman spielt den entschlossenen und den anderen immer wieder Mut machenden Anführer mit einem (geradezu künstlerisch überraschenden) Eifer (da er zuvor schon „anspruchsvollere“ Rollen gespielt hatte), so, als ginge es tatsächlich um sein Leben. Er beschwört, er treibt an, und das auch, wenn es sein muss, im Befehlston. Letztlich uneigennützig, und damit in einer fast religiösen Vorgehensweise, die ja auch zum Beruf seines Charakters passt- wobei er ansonsten ein an seiner Bestimmung zweifelnder und gar rebellischer Priester ist. Auch, da er zu jedem Zeitpunkt bereit ist, sich für die Zwangsgemeinschaft zu opfern- und das auch unter Beweis stellt- zittert der Zuschauer bis zum Schluss um ihn- denn ohne ihn wird es die Gruppe schwer haben, hier raus zu kommen.
Der viel zu oft in seiner Karriere unter seinem Können eingesetzte Ernest Borgnine glänzt als grummeliger, ehemaliger Polizist, der Scott immer wieder Kontra gibt, dann aber vor allem seiner Frau (bleibt unauffällig, aber hübsch: Stella Stevens) zuliebe einsieht, daß er sich hier fügen muss.
Red Buttons und Roddy McDowall sind selbst in ihren eher simpel gezeichneten Rollen jeweils eine feste Bank und gern anzusehen; Pamela Sue Martin und Leslie Nielsen setzen selbst in ihren kleinen Rollen Akzente: Shelley Winters sorgt gar für ein paar wenige komische Einlagen- ein auch insgesamt tolles Ensemble, das passt und überzeugt, und in dem niemand es nötig hatte, sich in den Vordergrund zu drängen.
Die mit der Zeit einher gehende körperliche und mentale „Schwächung“ der Charaktere wird von allen glaubhaft dargestellt, und ist auch äusserlich (Make Up/Kostüme) gut erkennbar gemacht.

Fazit:
Katastrophenfilm, wie man ihn sich wünscht, wie er sein kann, und muss.
Ein (nennen wir es mal so) übersichtliches Drehbuch reicht vollkommen aus, wenn es so knackig ist und präsentiert wird, wie hier, und auf engstem Raum grösstmögliche Aufregung erzeugt. Ein bis auf den Anfang auf-den-Punkt-Drama, mit bis auf den Anfang fantastischen Tricks und Stunts als Zugaben. 

Die Poseidon wird im Film von einem Modell der "Queen Mary" dargestellt, auf der auch einige Aufnahmen entstanden. Da der Film hauptsächlich im Schiff spielt, wurde darüber hinaus das meiste aber im Studio hergestellt, wobei erfreulicherweise die Realistik und die grossartige Ausstattung jede Studioatmosphäre vertreibt und die oft klaustrophobische Grundstimmung fast körperlich spürbar wird.

Darsteller:
Gene Hackman als Reverend Scott – Deutsch: Rolf Schult
Ernest Borgnine als Mike Rogo – Deutsch: Hans-Dieter Zeidler
Red Buttons als James Martin – Deutsch: Siegmar Schneider
Carol Lynley als Nonnie Parry – Deutsch: Traudel Haas
Roddy McDowall als Acres – Deutsch: Randolf Kronberg
Stella Stevens als Linda Rogo – Deutsch: Ursula Herwig
Jack Albertson als Manny Rosen – Deutsch: Konrad Wagner
Shelley Winters als Belle, seine Frau – Deutsch: Inge Landgut
Arthur O’Connell als Der Kaplan – Deutsch: Friedrich W.Bauschulte
Leslie Nielsen als Kapitän Harrison – Deutsch: Heinz Petruo
Pamela Sue Martin als Susan Shelby – Deutsch: Joseline Gassen
Eric Shea als Robin, ihr Bruder – Deutsch: Stefan Krause
Fred Sadoff als Mr.Linarcos, Reeder – Deutsch: Friedrich G.Beckhaus
Byron Webster als Zahlmeister – Deutsch: Klaus Miedel
u.A.

Und Trauer und Tod sind auch allgegenwärtig.

Regie: Ronald Neame
Regie der Actionsequenzen: Irwin Allen
Drehbuch: Stirling Silliphant, Wendell Mayes
Nach dem Roman „Der Untergang der Poseidon“/“The Poseidon Adventure“ (1969) von Paul Gallico
Kamera: Harold E.Stine
Musik: John Williams
Schnitt: Harold F.Kress
Produktionsdesign: William Creber
Szenenbild: Raphael Bretton
Kostüme: Paul Zastupnevich
Make Up: Del Acevedo, Ed Butterworth, Allan Snyder
Spezialeffekte: A.D.Flowers
Visuelle Effekte: L.B.Abbott
Hintergrundmaler: Matthew Yuricich
Produktion: Irwin Allen

Der von Co-Regisseur/Produzent Allen inszenierte (kommerziell weit weniger erfolgreiche, jedoch absolut empfehlenswerte) Film „Jagd auf die Poseidon“ (1979, ebenfalls nach einem Roman von Paul Gallico) knüpft zeitlich direkt an die Handlung der "Höllenfahrt..." an (ist also ein klassisches Sequel), hat aber ansonsten nur wenig Bezüge dazu und keine zu den Charakteren. Auch tritt keiner der Darsteller erneut auf.

2005 entstand ein quasi-Remake als Fernsehproduktion („Der Poseidon-Anschlag“). Die Produktion wurde zum enttäuschenden Schnellschuss, um noch vor Wolfgang Petersens Kinoremake „Poseidon“ (2006) zu erscheinen. Letzterer ist trotz der Mitwirkung von Kurt Russell und Richard Dreyfuss ein müder Aufguss, der zwar neueste Tricktechnik zeigt, aber darüber hinaus nichts zu bieten hat und einfach nur belanglos vor sich hin dümpelt, bis er schliesslich ganz absäuft.


Spoiler:
Der junge Robin Shelby hatte sich von einem Besatzungsmitglied vor dem Unglück erklären lassen, daß an der Stelle im Rumpf, wo die Schiffsschrauben sind, der Kiel nur 2,5 statt wie ansonsten fünf Zentimeter dick sei (Rogo: „Zweieinhalb Zentimeter! Weißt Du, wie dick zweieinhalb Zentimeter Stahl sind??!!“ Antwort Scott: „Nur halb so dick wie fünf Zentimeter!“). Die Gruppe, auf sechs Überlebende dezimiert (Belle Rosen und Acres ertrinken; Reverend Scott stürzt beim Öffnen einer über ihm liegenden Luke in den Tod), erreicht den rettenden Bereich, wo sie mit Klopfzeichen auf sich aufmerksam machen können und von einer Hubschrauberbesatzung mittels Schneidbrenner gerettet werden. Sie erfahren, daß sie die einzigen gefundenen Überlebenden sind. Ende.



Gegenteil von Bodycount (Einzige Überlebenden):
Mike
Rogo, James Martin, Manny Rosen, Nonnie Parry, Susan Shelby und Robin Shelby.