(106) Veröffentlichung: 4.Juli 2021
Italien,
1975 – Originallänge: 104 min. – Kino D: 87 min.*
FSK
16 seit Neubewertung/ehemals FSK 18; heutigen VÖ sind die fehlenden Szenen mit deutschen Untertiteln hinzugefügt
Originaltitel:
I
quattro dell'apocalisse
* Entspricht der englischsprachigen Fassung "Four Of The Apocalypse"
Drehzeit:
2.Dezember 1974- 19.Januar 1975,
in Österreich (Altaville-Szenen), Almeria/Spanien
(Weitere Aussenaufnahmen) und Rom/Italien (Studioaufnahmen)
Kinopremieren: Italien- 12.August 1975;
D- 15.April 1977
Diese Besprechung bezieht sich auf die ungekürzte Originalfassung des Films.
Darsteller:
Fabio
Testi als Stubby Preston – Deutsch: Rüdiger Bahr
Lynne
Frederick als Emanuelle „Bunny“ O'Neill
– Deutsch: Marion
Hartmann
Michael J.Pollard als Clem – Deutsch: Axel
Scholtz
Harry Baird als Bud – Deutsch: Ivar Combrinck
Tomas
Milian als Chaco – Deutsch: Klaus Kindler
Adolfo Lastretti als
Reverend Sullivan – Deutsch: ?
Bruno Corrazari als Lemmy (In
Altaville)
– Deutsch: Bruno W.Pantel
Charles Borromel als
Montana (In Altaville)
– Deutsch: Norbert Gastell
Donal(d)
O'Brien als Sheriff von Salt Flat
– Deutsch: Horst Sommer
u.A.
Der
Einführungssprecher sagt, daß die Geschichte im Jahr 1873 spielt.
In einer späteren Szene, in der Bud über einen Friedhof geht, liest
dieser jedoch von zwei Grabsteinen vor, auf denen es bezüglich der
Toten heisst: „Geboren 1884“ beziehungsweise „Gestorben
1892“
In
der Stadt Salt Flat (Filmzitat: „Ein Dorn im Auge gesetzestreuer
Bürger“) treffen sich im dortigen Kittchen vier unterschiedliche
Charaktere- der eitle Falschspieler Stubby, die schwangere
Prostituierte „Bunny“, der Alkoholiker Clem und der „mit den
Toten redende“ Bud. Nur „dank“ des korrupten Sheriffs und
tausend Dollar Stubby's können die vier mit einer Kutsche flüchten
und werden (zunächst) zu einer (Zwangs-)gemeinschaft. Nachdem ein
Treck frommer Siedler sie mit dem Nötigsten versorgt hat, treffen
sie auf Chaco, der sich ihnen anschliesst und als guter
Nahrungsbeschaffer (Jäger) erweist.
Doch macht Chaco aus der
Reise bald auch einen traumatischen Horrortrip-
mit
Clem's Hilfe (den er durch Alkohol gefügig gemacht hat) fesselt er
die drei anderen und vergewaltigt „Bunny“ vor deren Augen. Als er
die Gruppe ihrem Schicksal überlassen will, erwacht Clem's Gewissen,
doch Chaco schiesst ihn an und verschwindet mit allen Vorräten. Die
vier müssen nun ihren beschwerlichen Weg zu Fuß fortsetzen, durch
Clem noch zusätzlich erschwert, da der auf einer Trage transportiert werden muss.
Die
sich
langsam vertrauende und anfreundende
Schicksalsgemeinschaft stösst auf die von Chaco und seinen (wo
immer die auch herkamen)
inzwischen zwei Kumpanen abgeschlachteten frommen Siedler, bevor die
vier in einer verlassenen Stadt etwas zur Ruhe kommen. Dort aber
stirbt Clem, und Bud verschwindet, ohne sich zu verabschieden. Stubby
und „Bunny“, zwischen denen sich inzwischen eine ehrliche Romanze
entwickelt hat, sind nun ganz alleine, und verloren im
Nirgendwo...
Aus
einem fast kammerspielartigen (teils noch humorvollen) Beginn, der
noch nicht wirklich erahnen lässt, daß dieser Film kein
Italowestern von der Stange werden wird (Sich vorher Unbekannte, die
gezwungen sind, zusammenzuhalten, hat man schon öfter gesehen- das
hier geschilderte Zusammenwachsen und- quasi unfreiwillige- wieder
Auseinanderbrechen dieser Gruppe aber wohl kaum), entwickelt sich
schnell etwas ganz aussergewöhnliches- der zumeist ruhig (nahezu
sachlich) erzählte, episch angehauchte Film wird zu einer
umfassenden Parabel um Leben und Tod, um Liebe und Hass, und wie nah
sich das alles doch steht.
Regisseur Fulci (nur wenig später
einer der Meister des zeigefreudigen, modernen Horrorfilms, der schon
in diesem Werk heftigen Szenen frönt, und es sogar „schafft“,
eine „kannibalische Szene“ einzubauen) gelingt der schwierige
Spagat zwischen (gerne auch mal, vor allem zum Ende hin, kitschigem)
Drama und zynisch-explizitem Brutalowestern. Dabei nimmt er sich noch
die Zeit für ausführliche Charakterstudien (auch der
Nebencharaktere), und spart (verzeihlicherweise) dennoch nicht mit
dem einen oder anderen, für das Genre typischen Klischee. Obwohl das
insgesamt zu Ecken und Kanten führt, und das Werk bei manchem
Genrepuristen Verwirrung auslösen könnte, bleibt die Geschichte
ihrer Linie treu und konsequent speziell- so kommt auch die grosse
Hilfe für die „Guten“ nicht vom strahlenden Helden, sondern von
einer eingeschworenen, erstmal fast feindlichen Gruppe ziemlich
runtergeranzter Typen (siehe
Spoiler).
Auch
die (inzwischen auf den neuen VÖ grossartig remasterten) Bilder)
unterstreichen die Originalität- auf ständige Gesichtsnahaufnahmen
verzichtet die Kamera (die auch mal wackelnd den Slashertypischen
„Beobachtungsmodus“ einschaltet), und Landschaftsaufnahmen sind
derer wenige, und wenn, wird nicht Schönheit gezeigt, sondern (in
langen, kaum geschnittenen Einstellungen) die Unbarmherzigkeit der
Naturgewalten, denen die Charaktere ausgesetzt sind (Erst ist es die
sengende Hitze, die die Protagonisten bei ihrem Weg durch die Wüste
quält, dann ein stundenlanger Starkregen). Die Ausstattung ist
dementsprechend puristisch gehalten, und schmutzig, wie es in der
Realität wäre, ist es ohnehin allerorten.
Nur die Musik und
insbesondere die dazu immer an falschen Stellen eingesetzten
Countrypopsongs sind unpassend und stören auffällig die
Atmosphäre.
In
der (zwar kompakteren, aber auch eben dadurch enorm schwächeren)
deutschen Kinofassung (aus der natürlich auch die Gewaltszenen
entfernt wurden, leider aber auch manch entscheidende Dialoge) geht
von all dem sehr viel verloren, der Film wird „ausgedünnt“ und
durchschnittlicher- und verliert enorm an seiner inneren Stärke und
Komplexität. Die, um den Film komplett zu geniessen,
notwendigerweise wieder eingefügten Szenen mögen wegen des
Originaltons (Eine Nachsynchronisation wäre sicher besser gewesen)
irritieren, doch um dem Film gerecht zu werden und ihn angemessen
respektvoll zu würdigen, sollte man das als Zuschauer
hinnehmen.
Fabio
Testi kann als zunächst feingeistiger, geradezu gockelhafter
Sunnyboy-Kleinbetrüger genauso überzeugen wie während und nach
seiner Wandlung zum gleichzeitig einfühlsamen und
verantwortungsbewussten Freund und harten, gnadenlosen Rächer. Er
setzt nie zu dick auf, immer nur Stück für Stück (mit jeder
wachsenden Bartstoppel sozusagen) und glaubhaft, inklusive des
schliesslich (letztlich auch folgerichtigen) „Lonesome
Guy“-Schicksals in der endlosen Prärie- auf sich allein gestellt,
seine Freunde wie gewonnen, so nach und nach zerronnen.
Lynne
Frederick (allgemein bekannter durch ihr Privatleben als als
Schauspielerin und bereits 1994 mit 39 Jahren an jahrelangem
Medikamenten- und Alkoholmissbrauch verstorben) spielt anfangs zu
„brav“ und „jammert“ einmal zu viel. Die Figur wird dadurch
als schwächlich eingeführt, was sich erst nach Chaco's Misshandlung
an ihr ändert. Insgesamt aber macht sie eine tolle Figur und gibt
der „Bunny“ Tiefe.
Michael J.Pollard gibt einen interessanten
Sidekick, dessen Tod so berührt wie er schockt; Harry Baird bleibt
lange im Hintergrund, hat aber dann noch Gelegenheit, zu glänzen-
sein Verschwinden jedoch wirkt zu schnell abgehakt.
Schliesslich
Tomas Milian- der in Italien überaus populäre (vor allem
Action-)Schauspieler macht als sadistischer, menschenverachtender
Schweinehund (Die Motivation für seine Brutalitäten bleibt
unbekannt, was aber angesichts seines furiosen Spiels auch egal ist)
schon mit einem Blick Angst. Mehr Bösewicht geht nicht, besser auch
nicht- auf dem Gebiet vielleicht seine eindrucksvollste
Rolle.
Fazit:
Ein
ungewöhnlicher und besonders anspruchsvoller Spätitalowestern, der
trotz seiner (vor allem in der ungekürzten Fassung) vorkommenden
Handlungsbrüche durchgehend fesselt.
Dieser Film will
viel, und er kann
viel, und er beweist, daß Lucio Fulci nicht nur im Horror ein ganz
Grosser Schreiber und Regisseur war.
Stab:
Regie:
Lucio Fulci
Drehbuch: Ennio De Concini, Lucio Fulci*
Unter
Verwendung von Charakteren und Motiven aus Erzählungen
von Francis
Brett Harte
(„The Luck Of Roaring Camp“, 1868 und „The
Outcasts Of Poker Flat“, 1869)
*
Nach
Streitereien um das von De Concini vorgelegte Drehbuch schrieb Fulci
ein neues, wobei unklar ist, ob und wieviel er von De Concini's
Skript übernahm. Im Vorspann ist nur De Concini als Drehbuchautor
genannt.
Kamera:
Sergio Salvati (Assistenz: Emilio Bestetti, Maurizio Lucchini)
Musik:
Franco Bixio, Fabio Frizzi, Vince Tempera
Songtexte:
Greenfield&Cook
Interpreten: The Cook & Benjamin Franklin
Group
Schnitt: Ornella Micheli (Assistenz: Bruno Micheli, Rossana
Landi (=Kathleen Stratton)
Ton: Mario Ottavi (Assistenz: Marco
Donati)
Produktionsdesign: Giovanni Natalucci (Assistenz: Luigi
Quintili)
Kostüme: Massimo Lentini
Make Up: Massimo De Rossi,
Feliziano Ciracci
Regieassistenz: Claudio Bondi, Giuseppe („Joe“)
Pollini
Produktionsleitung: Piero Donati, Roberto
Sbarigia
Produktion: Edmondo Amati
Spoiler:
Stubby
und „Bunny“ treffen zu ihrem Glück auf Reverend Sullivan, einen
alten Bekannten Stubby's. Da „Bunny“ immer schlimmere Schmerzen
hat und die Geburt ihres Kindes unmittelbar bevorsteht, beschliesst
man (trotz Sullivan's Bedenken ob der „komischen“,
ausschliesslich männlichen Bewohner dort) in das nahe gelegene
Bergarbeiterdorf Altaville aufzubrechen. Tatsächlich begegnet man
ihnen dort zunächst aböehnend, doch mit Lemmy findet sich dann
sogar ein Bewohner, der bei der Geburt sehr hilfsbereit und hilfreich
ist.
„Bunny"
jedoch stirbt bei der Geburt ihres Sohnes.
Stubby überlässt den
Jungen den (inzwischen freundlich gesinnten) Männern von Altaville,
die sich (für
den Zuschauer bereits)
erkennbar gut um den Kleinen (der „Lucky“ getauft wird) kümmern
werden. Er beschliesst, Chaco aufzuspüren und sich (und damit auch
„Bunny“, Clem und die frommen Siedler) für alles zu
rächen.
(Erstaunlich)
schnell findet Stubby das Versteck Chaco's und seiner zwei Komplizen-
mit dem Überraschungsmoment auf seiner Seite, erschiesst er die
zwei, doch verletzt den verhassten Chaco zunächst nur.
In
aller Ruhe rasiert sich nun der
inzwischen arg ungepflegte
Stubby (da
kommt noch einmal seine Eitelkeit durch)
mit seinem, ihm zuvor von Chaco gestohlenen, Rasierzeug (siehe
Foto Links),
erschiesst erst
dann
Chaco und reitet einsam davon. Ende.
Bodycount:
-
Mehrere Tote bei einer grossen Schiesserei in Salt Flat- laut des
Sheriffs Erklärung dafür haben sich die „ehrbaren“ Bürger der
Stadt gegen die „kriminellen Elemente“ gewandt (Regisseur
Fulci lässt bereits hier seine Vorliebe für explizite Szenen
erkennen).
-
Mehrere Tote bei einer (nicht näher erklärten) Schiesserei, die
Stubby, „Bunny“, Clem und Bud beobachten.
- Nachdem Chaco zu
den Vieren dazugestossen ist, überfallen drei Ganoven die Gruppe.
Chaco erschiesst zwei sofort, und foltert den dritten zu Tode.
-
Chaco und zwei Komplizen überfallen den Treck frommer (waffenloser)
Siedler (siehe
Inhalt),
die alle, inklusive der Frauen und Kinder, von ihnen brutal
massakriert werden.
- Clem stirbt an einer ihm von Chaco früher
zugefügten Schusswunde.
- „Bunny“ stirbt bei der Geburt ihres
Sohnes.
- Chaco und seine zwei Komplizen (siehe
Spoiler).