(Heute gebräuchlicher VÖ-Titel in D)
USA, 1984 – 96 min. – FSK 16
TV D: Der Mann, der aus dem Eis kam
VÖ in D auch als: Iceman-Der Mann, der aus dem Eis kam
Originaltitel: Iceman
Drehzeit: Januar/Februar 1983, komplett in Kanada (Provinzen Manitoba und British Columbia)
Kinopremiere USA: 13.April 1984; in D Videopremiere im März 1985
Darsteller:
John Lone als „Charlie“, der Iceman – Deutsch: Claus Wilcke
Timothy Hutton als Dr.Stanley Shephard – Deutsch: Volkert Kraeft
Lindsay Crouse als Dr.Diane Brady – Deutsch: ?
David Strathairn als Dr.Singe – Deutsch: Andreas von der Meden
Josef Sommer als Whitman, Leiter der Forschungsstation – Deutsch: ?
Mitarbeiter der Forschungsstation:
Philip Akin als Dr.Vermell, Danny Glover als Loomis,
Amelia Hall als Linguistin Chapman, James Tolkan als Maynard
u.A.
Schrifteinblenung zu Beginn und Ende des Films:
„Ich, der ich geboren wurde, um zu sterben, werde leben.
Damit die Welt der Tiere und die Welt der Menschen sich vereine,
werde ich leben.“
(Legende der Inuit)
In der Arktis finden Wisenschaftler einen, wie sie herausfinden, seit bis zu 40000 Jahren im Eis eingefrorenen Neandertaler. Um den Körper an verschiedene Forschungseinrichtungen zu „verteilen“ (oder faktisch: um ihn zu zerstückeln und auszuweiden), wird er in ihrer Station aufgetaut. Während des Vorgangs beginnt das Hirn des „Iceman“ jedoch zu arbeiten und sein Herz wieder zu schlagen- er wacht auf.
Die Wissenschaftler sind uneins, was Vorrang haben sollte- mehr über seine Vergangenheit zu erfahren oder herauszufinden, wie der „Iceman“ so lange „überleben“ konnte. Der Anthropologe Shephard setzt sich zunächst durch, und der „Iceman“ wird in einer künstlichen Biosphäre untergebracht, um ihm vorzugaukeln, er sei in seiner Welt aufgewacht. Dort nimmt Shephard mit ihm Kontakt auf und freundet sich sogar mit ihm an. Er nennt ihn „Charlie“, da der vom „Iceman“ selbst angegebene, gutturale Name so ähnlich klingt.
Shephard findet heraus, daß „Charlie“ auf einer „Traumreise“ war, als er eingefroren wurde, und auf der Suche nach seiner damals bereits verstorbenen Familie ist, um sich mit ihnen wieder zu vereinen. Als „Charlie“ dann Shephard auffordert, ihn zu töten, damit er seine „Reise“ fortsetzen kann, beschliesst Shephard, seinem Freund anderweitig zu helfen...
Die ersten Bilder des Films (ein zunächst nicht weiter erklärter Fund in einer Höhle, siehe Foto) mögen beim Zuschauer noch den Eindruck erwecken, man habe es mit einem Film á la „Das Ding aus einer anderen Welt“ zu tun, zudem der heutige deutsche Titel schon von vornherein eine entsprechende Erwartungshaltung noch begünstigt. Doch schnell wird klar, daß wir es hier nicht mit einem Monsterfilm zu tun haben- schon die nächsten Szenen (die Ankunft des Fundes in der Forschungsstation und das Verhalten der Menschen dort) und noch mehr die melancholische, von Flöten beherrschte Musik eröffnen vielmehr ein zumeist so ruhig wie doch stets packend inszeniertes (im weitesten Sinne Phantasy-) Drama von beeindruckender Wirkung.
Fast dokumentarisch wirkt es, wenn gezeigt wird, wie die abgeklärten Mediziner den Urmenschen mittels ihrer unzähligen, leuchtenden und piepsenden Apparaturen „auftauen“, und dann das unerwartete „Problem“ von Lebenszeichen des Probanden auftritt. Die unterschiedliche Intention der Wissenschaftler wird schon hier deutlich, wenn es einigen offenbar eher ungelegen kommt, daß ihr „Fund“ nicht so einfach aufgeschnibbelt werden kann- Skepsis und auch Kritik an solcherlei Gebahren und an dem, was Forschung kann, aber vielleicht nicht immer tun sollte, wird sich fortan wie ein roter Faden durch den Film ziehen. Und Shephard, dem (zunächst auch nur aus wissenschaftlichem Interesse) am Wohl des Urmenschen gelegen ist, schwant schon jetzt (auch) Böses angesichts des auf der Welt nun einmaligen, lebendigen „Versuchsobjektes“.
Wenn dann die Wissenschaftler aus Sicht des noch paralysierten Urmenschen als nebulöse und unheimliche Bedrohung gezeigt werden, fühlen wir mit ihm sein Unverständnis angesichts dessen was vorgeht und seine Angst vor dem, was ihm noch bevorstehen mag.
Im Mittepunkt des Films, der bewusst und durchgehend auf Rückblenden in die Urzeit verzichtet, steht jedoch die zaghafte Annäherung zwischen Shephard und „Charlie“. Aus unterschiedlichen Zeiten und Welten stammend, können sie doch voneinander lernen, nicht nur der eine vom anderen, einander verstehen (lernen) und Freunde sein, so unterschiedlich sie und ihr Leben auch waren und sind. Es gelingt Shephard, das „Geheimnis“ um „Charlie“ zu ergründen, und er beschliesst, daß er ihn nicht der modernen Welt ausliefern will, spätestens nachdem in einer grausam-intensiven (und bewegenden) Szene „Charlie“ ihn geradezu anfleht, ihn zu töten, da es für „Charlie“ der einzige Weg ist, seine Reise zu beenden.
Der Film spielt zumeist in der kühlen Atmosphäre und den scheinbar kilometerlangen Gängen der künstlichen Station und in der grandios (als Filmset im Filmset) „gefakten Oase“ für „Charlie“ (die er letztlich selber als solche entlarvt); im krassen Gegensatz dazu die imposanten (meist aus der Luft gefilmten) Landschaftsaufnahmen der geradezu endlosen Eis- und Schneewüste, die die Kälte förmlich spürbar werden lassen. Ein Erdbeben hätte es da gar nicht gebraucht, das erscheint eher wie eine unnötige Actioneinlage.
John Lone (Foto ohne Maske siehe ganz unten) ist als „Charlie“ eine grossartige Hinguckerleistung gelungen, trotz seiner Maske (die unübertrieben und quasi „korrekt“ nach Neandertalervorbild erscheint) überzeugt er durch Mimik und seine Gestik und Bewegungen. Seine „Sprache“ macht er tatsächlich verständlich, auch ohne „unsere“ Worte zu benutzen. Interessant ist, daß er komplett deutsch synchronisiert wurde (der unterschiedliche Ton, so wie er in einigen nachträglich eingefügten Szenen mit Untertiteln zu hören ist, würde auch unangenehm auffallen). Hut ab vor Sprecher Claus Wilcke, den man dabei nur selten herauserkennen kann, und der dennoch einen formidablen Job hingelegt hat.
Die meisten anderen Darsteller haben nicht so viel zu tun, nur Timothy Hutton als Shephard ragt noch heraus, und Linday Crouse, die erst zurückhaltend ist und erst durch ihre, von Shephard fast erzwungene persönliche Begegnung mit „Charlie“ das Ausmass der Geschehnisse begreift und sich auf seine Seite stellt.
Fazit:
Ein (auch in diesem Blog) so ungewöhnlich- wie aussergewöhnliches und tiefgründiges Meisterwerk, das einem noch lange nach dem Anschauen in Erinnerung bleibt.
Stab:
Regie: Fred Schepisi
Drehbuch: John Drimmer, Chip Proser
Story: John Drimmer
Kamera: Ian Baker
Musik: Bruce Smeaton
Schnitt: Billy Weber
Ton: Clive Taylor
Produktionsdesign: Leon Ericksen, Josan F.Russo
Szenenbild: Thomas L.Roysen
Kostüme: Rondi Johnson
Make Up Creator: Michael Westmore
Maske: Linda A.Brown
Spezial Make Up: Michele Burke
Prosthetic Make Up: Michael Mills
Regieassistenz: Jim Van Wyck
Associate Producer: Charles Milhaupt
Produktionsleitung: Robert Latham Brown
Produktion: Patrick J.Palmer, Norman Jewison
Spoiler:
Gegen den Willen der meisten Kollegen will Shephard, daß „Charlie“ seine Traumwanderung nun fortsetzen (beenden) kann: Mit Diane's, Loomis' und Chapman's Hilfe befreit Shephard den Iceman, und geht zunächst mit ihm zusammen auf die Reise durch Eis und Schnee. „Charlie“ lächelt dabei und wirkt glücklich. Kurz darauf werden beide jedoch durch ein Erdbeben getrennt, während ihre Verfolger aus der Station ihnen auch mit dem Hubschrauber immer näher kommen.
„Charlie“ hängt sich schliesslich an eine Kufe des Hubschraubers (siehe Foto), den er für seinen (Vogel-)Gott hält. Der Pilot will ihn (unerklärt bleibt, warum er den Hubschrauber immer weiter nach oben statt einfach nach unten steuert) noch ergreifen und hineinziehen, doch der Iceman stürzt in die Tiefe. Shephard schaut dem zu und lächelt (wohl, weil er weiss, daß „Charlie“, obwohl tot, jetzt am Ziel seiner langen Reise ist).
Ende.
Bodycount:
- „Charlie“ ersticht beim Herumirren in der Forschungssstaion versehentlich Maynard mit einem selbstzusammengebauten Speer.
- „Charlie“ (siehe Spoiler).